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Vor dem Fenster eine Wand

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New PostErstellt: 01.08.13, 01:53  Betreff: Vor dem Fenster eine Wand  drucken  weiterempfehlen

Vor dem Fenster eine Wand





Von Norbert Mappes-Niediek




An der ionischen Küste, die lange Zeit als
Europas letzter unberührter Uferstreifen am Mittelmeer galt, hat
Albanien in kürzester Zeit die schlimmsten Bausünden nachgeholt, die man
von der Côte d’Azur und der Costa Blanca kennt.


Halboffene Kartons, viel Papier, in der Ecke sind überzählige
Büromöbel aufgestapelt. Vier junge Beamte des Bauamtes von Vlora sitzen
an großen Bildschirmen, vor sich den Stadtplan, auf dem jedes einzelne
Haus verzeichnet ist. „Die angekreuzten Gebäude“, erklärt Doriana Sulaj,
Referentin auf dem Amt, „die sollen demnächst alle abgerissen werden,
denn sie sind illegal.“ Für die Stadt, sagt sie, wäre es ein Segen.

Tatsächlich
ist das früher so beschauliche Hafenstädtchen mit seinen Moscheen und
türkischen Basargassen kaum noch wiederzufinden. Zum Meer hin entstand
innerhalb von nur drei Jahren gegen alle Pläne und gegen alle Vernunft
ein ganz neues Stadtviertel aus sechs- bis achtstöckigen Wohntürmen,
alle mit Balkon und alle mit Meerblick – allerdings nur so lange, bis
der nächste Klotz noch näher an den Strand gesetzt wurde. Das meiste
steht leer.

Eine Stichstraße in jede Bucht

Und
jetzt kommen also die Abrisskommandos? Nun ja, nicht direkt, sagt
Doriana Sulaj: „Wir bemühen uns um menschliche Lösungen.“ Was, bitte,
wäre denn unmenschlich am Abriss leerstehender Gebäude? Hier liege
offenbar ein Missverständnis vor, erklärt die freundliche Beamtin: „Die
hohen Häuser – das sind ja die legalen.“ Illegal seien allenfalls die
alten, kleineren und das Wenige, was sich mutige Zuzügler vom Lande ins
Brachland neben die Bettentürme gestellt haben. Deren Eigentümer
könnten, wenn sie Glück haben, ihr Häuschen gegen eine Wohnung im Turm
nebenan eintauschen.

An der ionischen Küste, die lange Zeit als
Europas letzter unberührter Uferstreifen am Mittelmeer galt, hat
Albanien in kürzester Zeit die schlimmsten Bausünden nachgeholt, die man
von der Côte d’Azur und der Costa Blanca kennt. Internationale
Geldgeber leisteten kräftig Mithilfe: Die Weltbank finanzierte den Bau
einer Küstenstraße bis kurz vor die griechische Grenze. Die Gemeinden
bauten überall Stichstraßen an die beschaulichen Buchten, die bis dahin
nur vom Meer aus erreichbar waren. Dort gibt es weder Toiletten noch
Abfalleimer, nur ein Kassenhäuschen, in dem jemand Eintrittsgeld
kassiert. „Wenn wir da baden gehen“, sagt der Mitarbeiter einer
internationalen Organisation in Tirana, „nehmen wir immer eine Rolle
schwarze Müllsäcke mit.“ Die erste Stunde wird dann erst einmal
aufgeräumt.

Verantwortlich für das Investitionsprogramm der
Weltbank war Jamarber Malltezi, Schwiegersohn des soeben abgewählten
konservativen Premierministers Sali Berisha. Schon 2007, als der Boom
begann, ließ der umtriebige Geschäftsmann massenhaft alte, angeblich
illegal errichtete Häuser an der Küste abreißen, um Platz für Hotels zu
schaffen.

Am flachen Küstenabschnitt zwischen Vlora und Durres ist
mittlerweile alles zu spät. Hier stehen die Bettenburgen in Dreier- und
Viererreihen, die grelle Leuchtreklame erinnert an Las Vegas. Stolz
vermeldet die Regierung, die Zahl „ausländischer Touristen“ wachse von
Jahr zu Jahr. Was sie verschweigt, ist, dass es vorwiegend treue
Auslandsalbaner und Kosovaren sind, die kommen. Rucksacktouristen und
Motorradfahrer aus reicheren Ländern schauen allenfalls kurz vorbei –
und wenden sich dann mit Grausen ab. Von den großen Reiseveranstaltern
hat keiner das Land im Programm.

Mit dem Gesetz allein ist der
Verwüstung nicht beizukommen, wie Ndricim Metaj aus Vlora erleben
musste. Gleich nach der Wende in Albanien war der heute 52-jährige
Angestellte nach Österreich gegangen. Als er vor fünfzehn Jahren mit
seinem sauer verdienten Geld der Familie ein neues Haus hinstellte, ging
es gerade einmal aufwärts in Albanien. Ein Volksaufstand hatte die
korrupte Regierung hinweggefegt, die Anbindung an Europa war jetzt das
Ziel. Metaj riss das alte, marode Haus gleich gegenüber der
Muradie-Moschee ab und setzte an seine Stelle ein neues: in mediterranem
Gelb, drei Stockwerke hoch, mit Balkon.

Kaum waren Metajs
Schwiegereltern dort eingezogen, wuchs gleich nebenan ein Wolkenkratzer
in die Höhe. Gleich nebenan heißt in Vlora: Die Außenwand des
Nachbarhauses kratzt an seiner Dachrinne. Gucken die Metajs aus dem
Fenster, haben sie in 30 Zentimeter Entfernung eine Wand vor sich.





Metajs nahm diese offensichtliche Missachtung sämtlicher
Bauvorschriften nicht hin. Er reichte Klage ein. Das Gericht ließ sich
Zeit. Schließlich genehmigte es dem Nachbarn nachträglich einen
fünfstöckigen Bau mit einem Meter Abstand zum Haus der Familie Metaj.
Erwähnen sollte man vielleicht, dass das Gesetz mindestens acht Meter
vorsieht; in der Baugenehmigung der Stadt war immerhin noch von
2,40 Meter die Rede. In Wirklichkeit waren es, an der Dachrinne
gemessen, vier bis fünf Millimeter.

Bis zur Berufung setzte die
Baufirma auf dem Nachbargrundstück noch einmal illegal drei Etagen
drauf. Die Richter in der zweiten Instanz kamen nun auf die Idee, Metajs
Eigentümerschaft an seinem Elternhaus anzuzweifeln. Inzwischen liegt
der Fall beim Obersten Gericht in Tirana.

Mit seiner
Beharrlichkeit drang Metaj in höchste Regierungskreise vor – bis hin zum
Justizminister und heutigen Staatspräsidenten Bujar Nishani. „Je höher
ich kam, desto bestürzter reagierten die Politiker“, erzählt Metaj.
„Aber sie taten nichts.“ Ob aus Unwillen oder aus Unfähigkeit, konnte er
nicht ergründen. „Die haben alle gelogen“, resümiert er.

Welche
Chance selbst ein Politiker guten Willens hätte, sei dahingestellt. „Das
für die Erhaltung der Küste zuständige Umweltministerium hat nur drei
Inspektoren“, konstatiert ein Weltbank-Mitarbeiter, „und denen steht
nicht einmal ein Auto zur Verfügung.“ Wo die Ministerien versagen,
regieren die Bürgermeister. „Auch bei ihnen weiß man oft nicht recht, ob
sie schwach sind oder ob Geldgier sie treibt“, sagt der Weltbank-Mann.
Arm sei von ihnen jedenfalls keiner. Das Parteibuch sei in jedem Falle
wichtig, die Parteifarbe aber mache keinen Unterschied: Vloras
Bürgermeister Shpetim Gjika ist Sozialist, Malltezi aber Konservativer
wie sein Schwiegervater Berisha.

Alles Ansichtssache

Inzwischen
erfasst der Bauwahn auch die schilfreiche Nordküste. Gebaut wird vor
allem, wo man leicht ans Wasser herankommt. Aber auch in einem
Sumpfgebiet, in dem sich schlecht bauen lässt, hat sich Malltezi schon
etabliert: Italienische Edeltouristen schießen dort auf alles, was
fliegt oder sich sonst irgendwie bewegt, und zahlen dafür fette
Abschussprämien.

Wer seine Gemeinde vor dem Zugriff der Reichen
und Mächtigen schützen will, braucht Mut. In Velipoja an der
montenegrinischen Grenze schaffte es Bürgermeister Nikolla Zef Marku,
fertige Appartmenthäuser wieder abreißen zu lassen. Gewonnen hat er vor
Gericht noch nicht. Der Bürgermeister ist Konservativer, und in Tirana
sind jetzt die Sozialisten dran. Ob die Bauten illegal waren oder ihr
Abriss, ist Ansichtssache.

[Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/politik/mittelmeerkueste-in-albanien-vor-dem-fenster-eine-wand,10808018,23846230.html]




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Next time the devil tells you "You're stupid" say "No, you're stupid - ...I'm going to heaven, you ain't getting in".
~Joyce Meyer~
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