Multikulturelle Beziehungen
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Interkulturelle Beziehungen in Familien

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OasisWeb
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Beiträge: 207
Ort: Köln


New PostErstellt: 18.08.04, 11:49  Betreff: Interkulturelle Beziehungen in Familien  drucken  weiterempfehlen

Begriffe wie interkulturelle Beziehungen, Fremdenfeindlichkeit, Identität sind nicht neu. Seit Jahrzehnten befassen sich die Sozialpsychologie, die Soziologie und viele andere Fachrichtungen in zahlreichen Studien mit diesen Phänomenen. Aber noch nie haben sie so viel Platz in unserer Gesellschaft eingenommen wie heute. Vorträge, Vorschläge, Erziehungsprojekte, Studien. Wie eine Lawine brechen die Informationen über die Familie hinein und bewirken zumeist, dass diese sie als Eindringling empfindet, auf den sie mit Lähmung, mit Aggression oder einfach mit dem Versuch, ihn zu ignorieren, reagiert.



Die Begegnung von Menschen aus verschiedenen Kulturen erfordert, ebenso wie jede zwischenmenschliche Begegnung, eine schrittweise Annäherung, die es beiden Seiten ermöglicht, den Anderen immer bewusster wahrzunehmen, um schließlich zu entscheiden, ob sie eine Beziehung eingehen wollen und welcher Art diese sein kann.



Wie man die Familie bei dieser schrittweisen Annäherung begleiten kann, lässt sich in drei Phasen aufgliedern:





1. Orientierung



Unabhängig davon, ob wir uns als Ausländer oder Deutsche begreifen, ob das Thema in großen oder kleinen Gruppen behandelt wird, und sogar wenn wir mit jemandem allein sprechen, sind folgende Punkte grundlegend:



ü Die Tatsache, dass sich Menschen aus verschiedenen Kulturen begegnen, hat nichts mit dem sogenannten multikulturellen Miteinander zu tun und schon gar nichts mit Begriffen wie "Toleranz" oder "Anpassung". In dieselbe Reihe passt auch der vielbemühte Begriff der "Identität", der selbst von ausgewiesenen Experten äußerst ungenau verwendet wird. Identität wird mit "kultureller Identität" verwechselt, und manchmal wird sogar beides auf die Beantwortung einer Frage nach dem Muster "Bin ich deutsch oder nicht?" reduziert.



Achten Sie darauf, diese Begriffe nicht beliebig zu verwenden, sie beziehen sich auf sehr verschiedene Sachverhalte, auch wenn die Medien sie oft zur Beschreibung desselben Phänomens verwenden.



ü Studien, Statistiken und Theorien können auf die verschiedenste Weise gelesen und interpretiert werden und führen manchmal zu sehr unterschiedlichen praktischen Konsequenzen. Das hängt davon ab, was diejenigen, die sie interpretieren, ursächlich bewegt: während in Studien in den 70-er Jahren die Ansicht vertreten wurde, dass nichtdeutsche Eltern unabhängig von ihrem jeweiligen Sprachvermögen mit ihren Kindern deutsch sprechen sollten, wird heute aufgrund anderer, ähnlicher Studien behauptet, dass das korrekte Erlernen der Sprache ihrer Eltern für die Kinder eine unermessliche Bereicherung bedeutet.



Seien Sie kritisch, hören Sie sich gegensätzliche Ansichten an, die Ihnen helfen, eine eigene Meinung zu bilden, und fragen Sie sich immer, was und wer welchen Nutzen aus der betreffenden Situation zieht.



ü In der Literatur und in den Medien wird von "Ausländerkindern" gesprochen, worunter ebenso ein Kind fällt, das in Deutschland geboren wurde und griechische Eltern hat, wie ein Kind aus Kolumbien, das mit zehn Jahren hierher gezogen ist, um bei seiner älteren Schwester zu leben, ein Kind von Kriegsflüchtlingen oder ein Kind, das in Deutschland geboren wurde und nach wenigen Jahren mit seinen italienischen Eltern nach Italien gezogen ist, um nach einiger Zeit wieder nach Deutschland zurückzukehren, usw., es gibt unzählige Variationsmöglichkeiten. In vieler Hinsicht ähneln sich diese Kinder, in mancher sind sie grundverschieden. Andererseits ist es meiner Ansicht nach diskriminierend, einen Jugendlichen, der perfekt deutsch spricht, eine nahezu identische Wertegemeinschaft mit seinen Schulkameraden bildet, zu denen er ein gesundes und altersgerechtes Verhältnis hat, als "Ausländerkind" zu bezeichnen.



Achten Sie darauf, konkret zu werden, denn Verallgemeinerungen führen zu verkürzten und statischen Erklärungen, die Realität lebt von der Verschiedenheit.



ü Der Dialog zwischen den Kulturen ist, wie jedes soziale Phänomen, Spielball einer Reihe von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Natürlich erfordert die zunehmende Mobilität der Weltbevölkerung eine Antwort, aber genauso ist es richtig, dass unter diesem Deckmantel manchmal sehr verschiedene und oft auch widersprüchliche Interessen versteckt werden, die absolut gar nichts mit Dialog oder gar Kultur zu tun haben.



Beachten Sie, dass mit Projekten, Erziehungsmaßnahmen und Diskussionen über dieses Thema häufig das Ziel verfolgt wird, andere, wichtigere Themen wie zum Beispiel die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit totzuschweigen. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird auf einen bestimmten Problembereich gelenkt, um andere, konfliktreichere Themen auszublenden. So könnte man beispielsweise überlegen, ob sich ein Großteil der Probleme nicht lösen ließe, indem man Menschen, die seit vielen Jahren in diesem Land leben, das Wahlrecht gibt. Solche Gedanken sind zur Zeit aus der allgemeinen Diskussion verschwunden. Oder: Wenn man von den "armen Ausländern" spricht, vergisst man dann nicht allzu häufig auch die "armen Deutschen"? Auch diese Überlegung ist unpopulär. Und nicht zuletzt wird sich herzlich wenig gekümmert um die Schlussfolgerungen aus der berühmten Pisa-Studie, dass nämlich wirtschaftlich benachteiligte Kinder in Deutschland (unabhängig davon, ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht) ernsthafte Schwierigkeiten haben, das Bildungsniveau von Kindern aus einem besseren wirtschaftlichen Umfeld zu erreichen.



2. Bildung und spezifische Hilfe



Der Alltag stellt die Eltern vor eine Vielzahl von Fragen:



- Wie sollen wir auf einen rassistischen Witz unseres Kindes reagieren?

- Was soll ich antworten, wenn mein Kind mich fragt: "Bin ich Deutscher?"

- Welche Sprache sollen wir zu Hause sprechen?



Diese Liste kann beliebig fortgesetzt werden.



Um auf solche Fragen angemessen antworten zu können, muss man über ein theoretisches Instrumentarium der Analyse und Reflexion verfügen.



Im Folgenden einige von Fachleuten mehrheitlich akzeptierte und über die Jahre sich zunehmend erklärende Thesen, die wir zu diesem Zweck heranziehen können:



Familie und Gesellschaft bewegen sich in einem fortlaufenden interaktiven Prozess.
Die Bezugspersonen des Kindes in den ersten Lebensjahren bestimmen wesentlich die Art und Weise, in der es später als Erwachsener die Welt sieht und in ihr lebt.
Die Erziehung soll die Rahmenbedingungen, in der sie erfolgt, ausschöpfen.
Die Eltern vermitteln den Kindern ihre Lebensweisheiten, aber jeder Mensch ist einzigartig. Daher ist es auch Aufgabe der Eltern, die Kinder darauf vorzubereiten, dass sie ihren eigenen Weg gehen können, und ihnen zu helfen, dass sie nicht eine Kopie ihrer Erzieher werden und deren eigene Biographie wiederholen. Jeder entscheidet selbst, in welchem Maße er an der Gesellschaft, in der er lebt, teilnehmen will, und ebenso muss man den Kindern zugestehen, ihre eigene Wahl zu treffen.
Die Neugier, die Offenheit, das Interesse am anderen ist fest im Menschen verwurzelt und Grundlage jeden Lernens. Den Kindern beizubringen, die für ihren Selbstschutz notwendigen Grenzen zu setzen, bedeutet keinesfalls, Misstrauen und Angst zu fördern. Letzteres kann lediglich zu einer ungenügenden und unangemessenen Entwicklung führen.
Wie auch immer "Kultur" definiert wird, sie beinhaltet immer etwas Komplexes, das Werte, Verhaltensweisen, Wahrnehmungen, das Eingehen von Beziehungen usw. umfasst. Der gesunde und kritische Erwachsene kann manche dieser Bestandteile annehmen oder ablehnen, aber aufgrund ihrer Komplexität ist es unmöglich, eine "Kultur" als Ganzes ablehnen zu wollen.
Gegenwärtig gibt es sehr wenige Gesellschaften auf der Welt, in der nicht Menschen verschiedener Herkunft zusammenleben und verschiedene Sprachen sprechen. Verhindert man auf die eine oder andere Art und Weise (z.B. aus rassistischen Motiven) den Kontakt eines Kindes mit "einem anderen, den ich als unterschiedlich zu mir empfinde", so wird sein Lebensumfeld ganz erheblich eingeschränkt.



Ausgehend von einem solchen oder einem ähnlichen theoretischen Rahmen und unter Berücksichtigung der besonderen Situation der jeweils konkreten Familie (Zusammensetzung, Nationalität, Wertemaßstab usw.) können Verhaltensorientierungen aufgestellt und vermittelt werden, die im täglichen Leben angewendet, ausgewertet und anschließend integriert werden sollen.



Den besten Kontext dafür liefert die Gruppe. Diese kann relativ groß und offen sein. Es ist ratsam, ein gewisses Gleichgewicht in der Homogenität/Heterogenität herzustellen, zum Beispiel lateinamerikanische Frauen, die mit Deutschen verheiratet sind. Die Gruppe drückt zwar themenbezogene Gefühle und Emotionen aus, aber primär tauschen die Teilnehmer eine riesige Bandbreite an Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungen von Situationen, sowie mögliche Reaktionen darauf aus.



3. Selbstreflexion, um sich der Begegnung zu öffnen



Martin Buber hat den wunderschönen und weisen Ausspruch geprägt: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung" (in: "Ich und Du", 1923).



In unserem Zusammenhang ist diese \"Begegnung\" erfahrungsgemäß nicht möglich, wenn sich die Eltern als einzelne Individuen nicht mit einer Reihe von Lebensthemen auseinandersetzen:



Die Angst zu verlieren, was man als Eigenes betrachtet (Sprache, Bräuche usw.), bzw. dieses den Kindern nicht in dem gewünschten Maße darbieten zu können.
Das Eingeständnis des Verlustes, die Trauer und ihre Projektion in der Familiendynamik.
Das Unvermögen, die Kinder gegen Rückschläge durch offene oder versteckte Ablehnung schützen zu können.
Die ständige und zerstörerische Unentschlossenheit, ob dies das Land ist, in dem man leben möchte, und die möglichen Konsequenzen für alle Bereiche des Familienlebens.
Das Misstrauen gegenüber den Einrichtungen, in denen sich die Kinder entwickeln (Kindergarten, Schule usw.).
Schuldgefühle, weil man die eigene Familie zurückgelassen hat, manchmal in Armut oder Krankheit, und der Einfluss auf die jetzige Familie.
Der Verlust des Selbstwertgefühls, wenn man die Kinder zur Lösung von Situationen heranziehen muss, die ihrem Alter nicht entsprechen (als Dolmetscher, Verteidiger usw.).



Einige dieser Probleme betreffen sowohl Menschen aus anderen Ländern als auch solche, die keine unmittelbare Migrationserfahrung mitbringen. Für letztere sind zusätzlich charakteristisch



die nationale und familiäre Geschichte;
die Kraft, die aus dem Wissen erwächst, zu einer sozial angesehenen Gruppe zu gehören.



Für die einen wie für die anderen könnte die Liste natürlich sehr viel länger sein.



Diese Probleme scheinen zu den Kriterien zu gehören, die in dem Absatz "Bildung und spezifische Hilfe" aufgeführt sind, unterscheiden sich tatsächlich aber von ihnen: sie scheinen weniger dringend als die vorhergehenden, betreffen aber den Einzelnen massiv.



Sie therapeutisch zu bearbeiten, bedeutet:

kleine, fortlaufende Gruppen (Therapie- oder Selbsterfahrungsgruppen usw.) zu bilden;
besonderes Augenmerk auf die Übertragung, Gegenübertragung auf die Auswahl der Nationalität des Therapeuten, die Auswahl der Sprache usw. zu legen;
sie sehr viel mehr auf die Biographie und psychische Verfassung des Einzelnen als auf seinen sozialen Kontext auszurichten.



Interkulturelle Kompetenz erfordert eine unabdingbare, tiefe Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst, mit oder ohne professionelle Hilfe. Ohne diese Anstrengung wird sich jeder Erwerb sogenannter "interkultureller Kompetenz" als rein formelle, oberflächliche Angelegenheit erweisen. Ohne diese Anstrengung wird jeder Erwerb "interkultureller Kompetenz" Stückwerk bleiben und letztlich nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Darüber hinaus kann sie so viel leichter für Werbe- und Verkaufsziele, bzw. das Durchsetzen von politischen Zwecken instrumentalisiert werden.



4. Umsetzung in der Gesellschaft



Das persönliche Wachstum muss eine engagierte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bewirken.



Mut zur Beteiligung an Institutionen wie Schule, Kindergarten etc.



Mut, sich öffentlich zur eigenen Haltung zu bekennen.



Mut zum wahren Bekenntnis zu der Begegnung, die Martin Buber als diejenige bezeichnet, die uns zum "wirklichen Leben" verhilft.



Antonio Santillan, Dipl.-Psychologe

Internationale Familienberatung Köln

E-Mail:

Lieben Gruss Petra
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