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Matteo
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New PostErstellt: 10.11.07, 14:39  Betreff: FAZ-Artikel  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Sehr interesanter Artike,hab ich mal aus dem Genesis-Forum übernommen (um das Forum soll es hier aber nicht gehen!!!)

    Zitat:
    Und wann steigen Sie aus?

    Auf Internet und E-Mail möchte niemand mehr verzichten. Aber je stärker sich das Netz zum globalen Gedächtnis entwickelt, das alles weiß und jeden kennt, desto mulmiger wird vielen zumute: Eine neue Sehnsucht wächst, unerkannt zu bleiben. Der Luxus der Zukunft heißt Anonymität.

    Von Felicitas von Lovenberg


    Erinnert sich eigentlich noch jemand an 1987? Gerade mal zwanzig Jahre ist es her, da wurde von Bürgerinitiativen und in Protestmärschen zum Boykott der anstehenden Volkszählung aufgerufen, weil viele Menschen darin einen staatlichen Kontrollwahn sahen, der ihre persönliche Freiheit bedrohte. Nicht der Bürger, vielmehr der Staat habe gläsern zu sein, hieß es damals. Dabei wollte der Bund seinerzeit nur recht allgemeine Auskünfte wie Name, Alter, Geschlecht und Beruf einholen, wollte wissen, wie die Bürger zur Arbeit gelangen und ob sie im Eigenheim oder zur Miete wohnen. Solch zahmer Dateneintreibung spotten heute die Fragebögen jeder Krankenkasse, ganz zu schweigen von Konteneinsicht, der umstrittenen Online-Durchsuchung persönlicher Computer oder dem biometrischen Profil, das jedem neuen Reisepassinhaber per Fingerabdruck abgefordert wird.


    Als Andy Warhol einst prophezeite, in Zukunft werde jeder fünfzehn Minuten lang berühmt sein, schüttelten viele darüber nur den Kopf. Warum sollte man das überhaupt wollen? Diese Frage stellt sich heute nicht mehr. Je mehr Treffer der eigene Name bei den großen Suchmaschinen im Internet erzielt, umso wichtiger darf man sich fühlen: Seht her, ich bin wer! Und waren früher, eben zu grauen Volkszählungszeiten, Geheimnummern etwas für berühmte, vermögende oder schlicht paranoisch veranlagte Leute, wird von dieser Abschottungsmöglichkeit inzwischen inflationär Gebrauch gemacht: Die Telefonbücher der Großstädte werden trotz steten Zuzugs von Jahr zu Jahr dünner, weil mehr und mehr Menschen in diesem altmodischen Nachschlagewerk nicht mehr aufgeführt werden wollen.


    Was dafür anschwillt, sind Online-Datenbanken. Gut vierhundert Millionen Menschen sind bereits bei sogenannten "Sozialen Netzwerken" im Internet registriert, wo sie in liebevoll selbsterstellten Steckbriefen meist sehr viel mehr von sich preisgeben als Name, Alter und Adresse. Hemmungslos entblößen sie da persönliche Details, listen auf, was sie gern hören, lesen, essen, welche Filme und welche Fernsehserie sie mögen. Auch ihre Sorgen und Probleme, ob in der Liebe oder im Beruf, pinnen sie ohne Umschweife ans globale Schwarze Brett. In Diskussionsgruppen weinen sie sich aus über den Zustand der Welt, schimpfen über Politiker, Lehrer, Chefs oder Eltern, tauschen Diätrezepte und geheime Wünsche aus. Geteiltes Leben ist doppeltes Leben, ist Second Life, wie eines der bekanntesten Paralleluniversen heißt. Da kann sich der Benutzer mittels seines Avatars, seines virtuellen Doppelgängers, neu entwerfen und diesseitige Fehler der Natur ausbügeln, sich erfolgreicher, attraktiver und interessanter gestalten, Geschlecht und Herkunft wechseln.


    Während Prominente längst nicht mehr allein von Berufsfotografen, sondern erst recht von Privatleuten mit Fotohandy und YouTube-Ehrgeiz verfolgt werden, wird auch die Privatsphäre des Jedermann immer mehr zur virtuellen Fiktion. Wer noch keinen Eintrag bei Wikipedia hat, schreibt ihn selbst oder heuert jemanden an, der die eigene Biographie internettauglich aufbereitet. Dafür gibt es durchaus Gründe jenseits von Narzissmus: Personalchefs und Headhunter nutzen das Internet zur professionellen Einschätzung potentieller Kandidaten inzwischen ebenso selbstverständlich wie Flirter in der Anbandelungsphase. Fürs berufliche und private Fortkommen ist es also wichtiger denn je, im Netz ein positives Bild abzugeben. In Amerika gilt es längst als Gebot der Höflichkeit, vor einem Abendessen die Mitgäste zu ergoogeln, so dass man nicht den Fauxpas begeht, das Gespräch mit dem Tischnachbarn mit der Frage zu beginnen: Und was machen Sie so beruflich?


    "Six Degrees of Separation" hieß das Experiment, das mit Beginn des Internetzeitalters zu beweisen suchte, dass jeder Mensch potentiell um sechs Ecken mit jedem anderen Menschen auf der Welt verbunden ist. Man muss dazu nur mit Bedacht jene Kette von Kontakten in Gang setzen, die am Ende zum gewünschten Gesprächspartner führt, egal, wer er sei. In der Tat schnurrt die Welt, von der Tastatur des einzelnen Internetbenutzers aus gesehen, auf Murmelgröße zusammen. Chatten mit einem Bekannten in Peking, Einkaufen in San Franciso und ein Quickie mit Anastasia aus Nowosibirsk - alles nur einen Mausklick entfernt. Nichts lässt sich im Internet schneller und leichter befriedigen als klischeehafte Wunschvorstellungen, denn damit werden hier die größten Geschäfte gemacht.


    Allerdings machen sich die wenigsten klar, dass ihnen dabei möglicherweise Tausende über die Schulter schauen. "Das Netz vergisst nicht", lautet der Satz, der im Zusammenhang mit der Offenlegung von Informationen und privaten Daten am häufigsten fällt. Einmal im Internet ohne Hintergedanken gemachte Angaben, sei es die Kreditkartennummer oder das Lieblingshobby, Schnappschüsse von einer ausgelassenen Party oder eine vernichtende Bemerkung über den Chef, bleiben für immer erhalten - weil man nie wissen kann, wer sich welche Daten wann und wozu heruntergeladen hat. So sammeln sich unweigerlich Spuren unseres Lebens, die sich unserer Kontrolle entziehen, ob es uns gefällt oder nicht.


    Im Zeitalter der medialen Selbstdarstellung ist die normale Sorge um den guten Ruf zu einer Kollektivsucht nach Bekanntheit mutiert - und zu nichts hat unsere Gesellschaft ein neurotischeres Verhältnis. Man fürchtet nicht etwa die Beobachtung, sondern die Nichtbeachtung. "Bedarf es noch der Durchleuchtung, wenn Menschen sich freiwillig entblößen", fragt der Soziologe Wolfgang Sofsky in seiner kürzlich erschienenen Streitschrift "Verteidigung des Privaten" (Verlag C.H. Beck). Seines Erachtens beschleunigt die "vulgäre Sucht nach kurzfristiger Prominenz" die Zerstörung des Privaten.


    Auch wenn es für einen Nachruf auf die Privatsphäre noch zu früh ist, verändert sich durch das Internet radikal die Auffassung davon, was Privatsphäre ausmacht, und vor allem davon, was privat zu bleiben hat. Dabei geht es nicht nur um die Auswüchse wie jene Leute, die den Sex von gestern Abend filmen und gleich ins Netz stellen, oder jene, die auf Pokerseiten ihr Erspartes verspielen, jene, die persönliche Angaben und Kontodaten zu Missbrauchszwecken stehlen oder hemmungslos Inhalte von Websites plagiieren - angeblich sollen sogar Pfarrer nicht mehr vor dem Predigtklau zurückschrecken. Es geht auch nicht um jene, die mit Hilfe ihres Avatars in Second Life einen Auftragskiller losschicken. Die gefährlichsten Seiten im Internet sind die vermeintlich harmlosen, wo es ums Netzwerken, um Kontakte geht.


    Denn die Währung, mit der im Netz Kontakte angebahnt werden, heißt "Freundschaft". Gemeint ist damit natürlich nicht jene seelische und geistige Verbundenheit, in der etwa die Romantik kultisch schwelgte, sondern eine neue, höchst sachliche Form von Sammelleidenschaft. Denn anders als im wirklichen Leben kann man im Internet gleich mehrere hundert Freunde haben. Ein nicht unerheblicher Reiz von ach so exklusiven Communities wie "A Small World", wo man nur auf persönliche Einladung Mitglied werden kann, liegt darin, sich die Kontaktlisten anderer Mitglieder anzusehen, um sodann eine devote Anfrage mit der Bitte um Erlaubnis zum Hinzufügen des eigenen Namens als "Freund" zu stellen, die vor allem dazu dient, dass man selbst eine immer imposantere Liste aufbauen und sich so im Licht der eigenen Popularität sonnen kann.
    Dabei begegnet man gerade im virtuellen Sozialumfeld oft genug ausgerechnet jenen Menschen, die man im wirklichen Leben lieber meidet. Zeig mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist: Diese Gefahr droht gerade und auch im Netz, wo Bekanntschaften ausgestellt werden wie Trophäen im Jagdkabinett eines Großwildjägers. Hat man eine vielversprechende neue Bekanntschaft gemacht und schaut nach, ob diese womöglich auch bei MySpace, Facebook, StudiVZ oder A Small World aktiv ist, stellte schon so mancher fest, dass sich auf der Liste der dortigen Kontakte genau jene gedankenleeren Impresarios fanden, denen aus dem Weg zu gehen sich zu einer urbanen Hauptbeschäftigung ausweiten kann. Nicht nur Psychologen haben außerdem längst erkannt, dass das gierige Online-Buhlen um Freundschaften und Kontakte oft der Kompensationsversuch einer massiven sozialen Unsicherheit im realen Leben ist.


    Doch wo Freundschaft so schnell entsteht, ist auch Feindseligkeit nicht weit. Das Internet ersetzt diesbezüglich geradezu die öffentliche Bedürfnisanstalt, auf deren Wände ja auch schon immer gern Beleidigungen gekritzelt wurden. Da die meisten Faktoren, die beim persönlichen Umgang eine wichtige Rolle spielen, wie direkter Blickkontakt, Körpersprache, Alter, Geschlecht und Status, im Netz wegfallen, fällt asoziales Benehmen extrem leicht, auch, weil man dafür in der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen wird - ein Umstand, mit dem sich in den Vereinigten Staaten bereits zahlreiche Anwaltskanzleien und Menschenrechtsorganisationen beschäftigen.


    Was die im Internet praktisch nichtexistente Hemmschwelle nämlich vor allem begünstigt, ist Gehässigkeit und Schadenfreude. Ob in einem Blog oder bei Kontaktbörsen wie MySpace, Facebook oder StudiVZ lassen sich leicht und anonym Dinge über andere Menschen äußern, die man diesen Personen nie und nimmer ins Gesicht sagen würde. Immer mehr Kontaktgruppen finden so nicht aufgrund einer gemeinsam besuchten Schule oder eines Hobbys zusammen, sondern weil sie sich in Abneigung, Neid und Missgunst gegen eine bestimmte Personen verbünden. Gemeinsam hänselte es sich schon immer effektvoller: In England und Amerika sieht sich mittlerweile jedes dritte Schulkind dem Phänomen des Cyber-Mobbing ausgesetzt.
    Opfer von Denunziationen und Bloßstellungen zu werden, etwa weil jemand dem eigenen Profil bei sozialen Netzwerken peinliche Fotos zuordnet, ist aber nur eine kleine Gefahr, verglichen mit dem Untergangsszenario, das der amerikanische Journalist Andrew Keen in seinem zornigen Manifest "The Cult of the Amateur - How today's Internet is killing our Culture" (Doubleday/Currency Publishers) entwirft.

    Keen sorgt sich weniger um den Verlust individueller Privatsphäre als darum, dass die Säulen unseres kulturellen Lebens - Literatur, Musik, Theater, Kino und Qualitätsjournalismus - durch den Wust der von Laien fabrizierten kostenlosen Online-Inhalte nicht nur entwertet werden, sondern auf Dauer darin untergehen. Information und Fakten werden von bloßer Meinungsmache verdrängt, bis die Masse Qualität nicht mehr erkennen und irgendwann auch nicht mehr schätzen kann. Als Hauptverursacher dieser uferlosen Banalität und geballten Ahnungslosigkeit, mit der sich jeder noch so intelligente Internetbenutzer unweigerlich konfrontiert sieht, weil die Suchmaschinen ihre Ergebnisse nach dem simpelsten aller Kriterien, nämlich Häufigkeit, ordnen, macht Keen die Blogger aus.


    Seinen Berechnungen zufolge entsteht in jeder Sekunde einer jeden Minute einer jeden Stunde eines jeden Tages ein neuer Blog, in dem sich Privatpersonen hemmungslos über ihr Leben, ihr Sexleben, ihr Wunschleben, ihr Zweitleben auslassen. Vor allem aber gefallen sie sich in der Pose des Kommentators des Kommentars, in der des besseren Literatur-, Musik-, Fernseh- und Theaterkritikers, des einzig hellsichtigen politischen Analysten und kenntnisreichen Sportreporters.


    Nicht, dass sie geschrieben werden, sondern dass all diese Ergüsse tatsächlich irgendjemanden interessieren, ist indes die eigentliche Sensation. Wenn wir so weitermachen, prophezeit Keen, wird es in nur drei Jahren über fünfhundert Millionen Blogs geben, in denen mehr, aber meist minder gut fundierte Meinungen über schlechterdings alles verbreitet werden. Um zu ermessen, was da an Energie verlorengeht, braucht man die kulturapokalyptische Rechnung, dass all die Stunden, die immer mehr Menschen vor ihrem Computer verbringen, nicht für wirkliches Erleben genutzt werden, also nicht für Gespräche, bei denen man sich in die Augen sieht, nicht für Bücher, bei denen aufregende Neuigkeiten aus dem Leben, Denken und Fühlen anderer kunstvoll vermittelt werden, nicht für Musik, Kino, Theater, nicht zum Spazierengehen, Freunde besuchen oder Reisen oder andere Aktivitäten, bei denen man sich eben nicht mittels einer Tastatur verständigt, schon gar nicht mehr anzustellen.
    Sind die Grenzen zwischen Fakten und Meinung, zwischen informierter Expertise und amateurhafter Spekulation erst einmal gründlich verwischt, führt kein Weg zurück, fürchtet Keen. Googles Suchmechanismen, die keinen Unterschied machen zwischen seriösen, gut aufbereiteten und benutzerfreundlichen Websites und der Informationshalde, also nicht Qualität, sondern einzig Popularität honorieren, lassen sich außerdem leicht manipulieren, indem man möglichst viele andere Seiten mit einer bestimmten verlinkt - die dann automatisch weit oben auf der Trefferliste erscheint. So bekommt auch die aufgrund ihres Grundsatzes, das hier jedermann seinen Senf dazugeben darf, gern verteufelte Online-Enzyklopädie Wikipedia deutlich mehr Kundschaft als etwa die Encyclopaedia Britannica, deren Beiträge aus der Feder von Wissenschaftlern stammen.


    Wer sich des Internets nicht vor allem als Informationsquelle bedient, begreift es in der Regel als Bühne zur Selbstinszenierung. Aber Berühmtheit im Internet generiert nicht dieselbe Form von Anerkennung wie in der wirklichen Welt, wie schon so mancher im Netz gehypte Sofamusiker feststellen musste, dessen Musikvideo zehntausendfach heruntergeladen wurde, der dann aber trotzdem nie in die Hitparaden gelangte. Das Medium, das von der formlosen E-Mail bis hin zum YouTube-Video das Nichtperfekte, Nichtvollendete, das Nicht-zu-Ende-Gedachte und -Gemachte zur Kunstform der Stunde erhebt und dadurch Mittelmäßigkeit nicht bloß duldet, sondern regelrecht zum Maßstab erhebt, kann seinen Helden keine Würde und keine Aura jenseits des Bildschirms verleihen.


    Natürlich sind gerade Künstler, Musiker und Schriftsteller auf Öffentlichkeit angewiesen. Auf Anerkennung hoffend, sind sie, je nach Temperament, beleidigt, verstört oder verunsichert, wenn das Interesse ausbleibt - und das Internet bildet nachlassende Popularität ebenso unmittelbar ab wie Kultstatus. Ist der Durchbruch indes geschafft und ein gewisser Bekanntheitsgrad erreicht, würden viele das Rad am liebsten wieder zurückdrehen.


    Nur ganz wenigen ist es gelungen, als Künstler berühmt zu werden und als Privatperson dennoch inkognito zu bleiben - Schriftsteller wie wie J. D. Salinger und Thomas Pynchon, Patrick Süskind und Walter Moers haben sich erfolgreich von den Zumutungen eines überneugierigen Publikums abgeschottet, ebenso Regisseure wie Stanley Kubrick, Ingmar Bergman und Terrence Malick oder der Pianist Arturo Benedetti-Michelangeli. Jüngere tun sich noch schwerer damit, sich dem Betrieb konsequent zu verweigern. Der britische Komiker Sacha Baron Cohen, alias Ali G., alias Borat, gibt zwar Interviews, spielt darin aber immer eine seiner Rollen und gibt somit seine Privatheit nicht preis. In Deutschland verteidigt der Fernsehspaßmacher Atze Schröder das Incognito seines bürgerlichen Namens erfolgreich, zur Not auch vor Gericht - was allerdings dazu geführt hat, dass sein eigentlicher Name inzwischen auf zig Internetseiten genannt wird. Denn oft weckt gerade die vehement verteidigte Privatheit den Ehrgeiz, dieser Person ein für alle Mal den Schleier wegzureißen, das vermeintlich letzte Geheimnis aufzudecken.
    Dabei sind all diese Künstler keine verschrobenen Verweigerer, die sich dem Ruhm, der höchsten Ehrung des Erdballs, störrisch entziehen. Süskind und Moers, Cohen und Malick sind vielmehr Pioniere, die als Erste erkannt haben, dass der größte Luxus darin besteht, in Ruhe gelassen zu werden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis nicht nur die soziale Enklave, sondern gerade auch die digitale Abschottung vom Bewusstseinsstrom der Banalität überlebensnotwendig für jeden werden wird, der kreativ oder schlicht geistig gesund bleiben will. Ähnlich wie für jede andere Form wahrer Exklusivität werden Menschen für diese Unbehelligtheit Unsummen auszugeben bereit sein. Denn anders wird der Rückzug in die Unerkanntheit für jene, die das Internet nutzen und somit nicht umhinkönnen, dort Spuren zu hinterlassen, nicht zu machen sein - oder jedenfalls wird das bloße Auswechseln von Telefonnummer, Adresse und Frisur nicht mehr reichen. Es gibt zwar schon Firmen, die das "Ent-Googeln" anbieten, Reputationsdienste wie MyOn-ID in Köln, die sich um die Löschung unliebsamer Inhalte bemühen. Aber diese allenthalben neu gegründeten Dienste markieren nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Konturen erst zu erahnen sind.
    Es geht nicht darum, künstlich Geheimnisse zu bewahren, die keine sind, sondern um die Möglichkeit, den großen "Unsubscribe"- Knopf zu drücken und sich damit nicht nur Newsletter und andere digitale Werbepost vom Hals zu schaffen. Es geht darum, selbst zu bestimmen, was man von sich preisgeben will. Aber der größte Luxus wird in naher Zukunft in der Nichterreichbarkeit und der Nicht-Zuordnung liegen, in der größtmöglichen Reduktion dessen, was Fremde über uns erfahren können. So wie derzeit noch der kollektive Exhibitionismus und Mitteilungswahn um sich greift, werden sich immer mehr Menschen nach virtuellen und realen Orten zurücksehnen, wo sie nicht ständig gepokt, gegruschelt oder sonst wie virtuell gekitzelt, gekratzt oder heimgesucht werden.


    Die Zukunft gehört Suchdiensten, die keine Zwischeninformationen speichern und Benutzerdaten sofort wieder löschen; E-Mail-Adressen, die zwar nach außen hin gleich bleiben, aber auf Absenderseite ständig mutieren, so dass der Inhaber keiner Firma, keinem Provider, keinem Netzwerk und keinem Standort zuzuordnen ist. Nicht nur in den Vereinigten Staaten und der EU werden Gerichte und SoftwareHersteller dafür sorgen müssen, dass persönlichkeitsbezogene Daten irgendwann gelöscht werden - und das Internet, das nichts vergisst, so einer Zwangsamnesie unterzogen wird.
    Die Vermutung liegt nahe, dass es sich mit der Blogoshere ähnlich verhält wie mit den allmählich abklingenden Reality-Shows, die nichts mit der Wirklichkeit und alles mit Exhibitionismus zu tun haben, dass nämlich vor allem jene, die mit ihrem Privatleben nichts anfangen können, sich ins Informationsmeer stürzen. Andererseits können Leute, die ihre Zeit damit verbringen, alberne Videos zu drehen, um sie ins Netz zu stellen, ihre Meinung über Bücher, Platten oder Politik statt ihrem Bekanntenkreis gleich dem ganzen Erdball kundzutun oder sich unentwegt mit Menschen, die sie nie persönlich getroffen haben, in einem Paralleluniversum auszutauschen, mit mir und meiner Vorstellung von Freizeit wohl so wenig anfangen wie ich mit der ihren.


    Aber vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis nicht nur Menschen mit Einsiedlergen viel dafür geben werden, irgendwo zu wohnen, wo sich der Vermieter nicht regelmäßig ihre Balkonbepflanzung bei Google Earth anschauen kann und wo kein GPS ohne Umschweife jeden hinlotst. Wo man Freunde an ihrem Aussehen, ihrer Stimme und ihrem Geruch und nicht an der E-Mail-Adresse erkennt. Und wo solche Freunde die einzigen Menschen außer einem selbst sind, die wissen dürfen, wie man wohnt, was man isst und wen man liebt. "Six degrees of Separation"? Besser als nichts! Die Gewissheit, sechs Ecken von jedem anderen Menschen der Welt entfernt zu sein, hat auch etwas Beruhigendes. Es ist der Sicherheitsabstand zwischen virtuellem und wahrem Leben.

    Text: F.A.Z., 10.11.2007, Nr. 262 / Seite Z2
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fox
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New PostErstellt: 10.11.07, 16:08  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

...nichts geht über einnen stilvollen avatar!
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Matteo
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New PostErstellt: 10.11.07, 16:16  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

@JJG: Kannst du den "Spam" mal bitte löschen?
Hier soll es um den Artikel gehen
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JJG
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New PostErstellt: 10.11.07, 16:37  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: Matteo
    @JJG: Kannst du den "Spam" mal bitte löschen?
    Hier soll es um den Artikel gehen
@ Matteo - Wie stehst Du selbst zu diesem Artikel ?

@ Fox - Wie stehst Du zu dem Artikel und Thread ?

OFF Topic an : Bitte die Streitigkeiten wegen dem AVATAR hier austragen !!!
OFF Topic aus


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[editiert: 10.11.07, 16:38 von JJG]
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fox
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New PostErstellt: 10.11.07, 16:38  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: Matteo
    @JJG: Kannst du den "Spam" mal bitte löschen?
    Hier soll es um den Artikel gehen
Wenn du den Slayeravatar löschst..... gerne...das wird ja immer schlimmer....



@ JJG

...der Artikel ist interessant, sicher wahr.... aber in abgeänderter Form dutzendweise in der Tagespresse zu lesen....den Internetexhebitionisten scheint das ziemlich egal zu sein....zuviel "Freizügigkeit" im Web hat aber auch schon Karrieren zerstört....manche wundern sich noch heute warum sie keine Lehrstelle oder Job finden. Und die Beurteilung darüber bleibt dem "Suchenden" ueberlassen....darum Vorsicht....man ist schneller "indentifiziert" als man denkt....


[editiert: 10.11.07, 17:06 von fox]
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JJG
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Beiträge: 5148
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New PostErstellt: 10.11.07, 23:49  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

Trotzdem ist der Artikel schon nachdenkenswert. Ich teile aber nicht alle "Bedenken". In der Geschichte der Menscheit gab es oft "Verteufelungen" von Neuentwicklungen.

Man sollte sich schon Gedanken machen und ich bin froh, dass Matteo es auch mal ins Forum eingeworfen hat.

Damit verbunden ist ja auch die politische Entwicklung Europas und mache deshalb mal eine Umfrage in einem neuen Thread in der Plauderecke, damit die Diskussion hier nicht in eine andere Richtung geht.


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[editiert: 11.11.07, 00:03 von JJG]
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fox
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New PostErstellt: 11.11.07, 01:24  Betreff: Re: FAZ-Artikel  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: JJG
    Trotzdem ist der Artikel schon nachdenkenswert.
Das habe ich auch nicht angezweifelt Trotzdem ist die Problematik bekannt und scheint einen Grossteil der Web 2.0 user nicht wirklich zu interessieren. Interessant ist das es sich dabei hauptsaechlich um die juengere Generation handelt....Wahrscheinlich waechst eine Generation der "Selbstdarsteller" und "Wichtigtuer" heran.....
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