YES

WIR SIND UMGEZOGEN!!!




Unser neues Forum findet ihr unter:

YES - Das Deutsche Forum


Wir würden uns freuen, euch in unserem neuen Forum begrüßen zu dürfen!

Euer Mod-Team
 
Sie sind nicht eingeloggt.
LoginLogin Kostenlos anmeldenKostenlos anmelden
BeiträgeBeiträge SucheSuche HilfeHilfe StatStatistik
VotesUmfragen FilesDateien CalendarKalender BookmarksBookmarks
Sigur Rós in Berlin 13. August 08

Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite: 1, 2
Autor Beitrag
Eric
Mitglied

Beiträge: 1565
Ort: Hamburg


New PostErstellt: 15.08.08, 01:16  Betreff: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Gestern durfte ich mein allererstes Sigur Rós Konzert erleben! Die derzeit wohl erfolgreichste Band Islands hatte geladen ins Tempodrom nach Berlin.

Warum fährt ein Hamburger extra nach Berlin? Was für ein Aufstand nur für ein Konzert. Die Frage habe ich mir die letzten Tage auch oft gestellt. Lohnen sich der Aufwand und die Kosten (Ticket, Zugfahrt, Hotel) wirklich? Gestern kam die Antwort.

Nachdem ich mein Hotelzimmer bezogen hatte (nur 5 Gehminuten vom Tempodrom entfernt) und nicht mehr wirklich Zeit für andere Aktivitäten vor dem Konzert blieb, hab ich mich uch gleich auf den Weg gemacht und war ca. um 19:00 Uhr vor dem Tempodrom. Es war schon Einlass, Beginn war aber erst um 20 Uhr. Da das Konzert bestuhlt war und ich ja meinen festen Platz hatte, war keine Eile geboten, so dass ich bei dem schönen Wetter noch Bier, Bratwurst und die sehr gute Stimmung des Publikums genießen konnte.

Das Publikum war insgesamt recht jung. Durchschnittsalter ca. 25 Jahre. Aber ich war zum Glück nicht der Älteste Außerdem waren wohl jede Menge Nationalitäten verteten. Es wurde viel Englisch gesprochen, aber auch spanisch, polnisch und russisch habe ich aufgeschnappt.Vielleicht ist das in Berlin aber auch ganz normal. Denn eine Anwohnerin mit Fahrrad kam vorbei und fragte mich erstmal, ob ich Deutsch spreche und (nachdem ich dies bejahte) was denn heute für ein Event sei. Ich klärte sie auf, dass Sigur Rós spielen würden. Sie kannte die Band nicht und bat mich, ihr etwas über die Art der Musik zu erzählen. Sie überlegte sich, das Konzert evtl. auch noch zu besuchen. Also erzählte ich ihr, dass es sich um eher sehr ruhige, nicht besonders rockige Musik handeln würde.

Ich hätte ihr keine falschere Beschreibung liefern können...

Ob die Dame noch eine Karte ergattern konnte, weiß ich nicht. Das Konzert war jedenfalls ausverkauft. Kurz vor 8 Uhr hab ich mich dann zu meinem Sitz begeben. Die Show fing überraschend pünktlich an, allerdings mit einer Vorgruppe: Ólafur Arnalds

Ólafur setzte sich ans Klavier, begleitet wurde er von 3 Streichern. Er stellte sich kurz vor, sagte dass er ebenfalls aus Island komme. Das alles war ziemlich runtergenuschelt, man hat kaum ein Wort verstanden. Vermutlich war Ólafur gerade Kreide holen, als in seiner Schule das Thema "Sprechen" dran war. Die Musik war rein instrumental. Neben Piano und Strings kam noch Percusiion vom Band. DIese Musik war vom Stil der von Sigur Rós gar nicht unähnlich. Wirklich vom Hocker gehauen hat sie mich jedoch nicht. Den Rest des Publikums anscheinend auch nicht. Viel mehr als Höflichkeitsapplaus gab es nicht. Was sehr störend war, war die tatsache, dass das Berliner Publikum einfach nicht in der Lage ist, pünktlich zum Vernanstaltngsbeginn auf dem Platz zu sein. Es war ein ständiges Hin- und Herglelaufe, Plätze wurden gesucht, eingenommen, nein, noch schnell ein Bier holen, doch nochmal zum Klo. Ich kam mir vor, wie auf einem Bahnhof.

Nachem der Voract vorbei war, hab auch ich mir noch ein Bier geholt, außerdem noch ein T-Shirt vom Merchandising Tresen
Und man kann trotzdem pünktlich vor Beginn der Show zurück sein

Dann ging es auch schon bald los. Sigur Rós betraten die Bühne. Die "Kernband" besteht auf 4 Leuten: Dem Sänger und Gitarristen Jónsi, dem Bassisten Georg, Schlagzeuger Orri und Keyboarder Kjartan. Die Band wird durch das Streicherquartett Amiina unterstützt, das maßgeblich zum Bandsound beiträgt.

Hier die Setlist:

1. Svefn-G-Englar
2. Sæglópur
3. Untitled #1 (Vaka)
4. Sé Lest
5. Við Spilum Endalaust
6. Gong
7. Andvari
8. Festival
9. Hoppípolla
10. Með Blóðnasir
11. Inní Mér Syngur Vitleysingur
12. Fljótavík
13. Viðrar Vel Til Loftárása
14. Hafsól
15. Gobbledigook
16. Olsen Olsen
17. Untitled #8 (Popplagið)
18. Heysátan

Tja, was soll man sagen. Es fällt mir wahrlich schwer, dieses Konzert in Worte zu fassen. Das muss man einfach erleben. Es war schlicht unglaublich und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dieses Konzert wohl sicher zu den Top 5 Konzerten gehört, die ich je erlebt habe. Was während der 2 Stunden und 10 Minuten musikalisch geboten wurde, war nicht von dieser Welt.

Schon bei den ersten Tönen von Svefn-G-Englar taucht man ein in eine andere Welt. Jonsis Gesang ist ergreifend. Er schafft es tatsächlich spielend, diese für einen Mann unmöglich hohen Töne auch live druck- und gefühlvoll rüberzubringen. Seine Gitarre spielt er nicht einfach. Nein, er streicht mit einem Cellobogen über die Seiten. Dabei entstehen die bizarrsten Sounds. Manchmal bedrohlich dröhnend wie die Trompeten von Jericho mal lieblich und zerbrechlich wie der Gesang der Sirenen. Man wird einfach in den Bann gezogen.

Mit Ausnahme von Gitarre und Bass sind ansonsten eigentlich nur akustische Instrumente zu hören. Streicher, Piano, Hammondorgeln, Xylophon, Glockenspiel, Flöte und natürlich Gesang.

Dann bei Við Spilum Endalaust kommt auf einmal noch ein 5-köpfiges Bläserensemle auf die Bühne. Alle in weißer Kleidung und mit weißen Hüten. Eine großartige Erweiterung des Klangbilds.Insgesamt also 13 Leute auf der Bühne, die Bläser verschwinden allerdings zwischenzeitlich immer wieder von der Bühne, wenn gerade keine Bläser vorkommen. Sie übernehmen aber auch viel Backgroundgesang und sogar Percussion. Überhaupt wird viel an den Instrumenten gewechselt und getauscht. Jonsi spielt mal Gitarre, mal Orgel, mal Xylophon. Orgeln werden rein- und rausgetragen. Der Bassist zupft seinen Bass auf einmal mit einem Drumstick (eine Technik, die eigentlich Tony Levin und Peter Gabriel zusammen entwickelt haben), der Keyboarder geift zur Flöte... Da ist viel Bewegung auf der Bühne.


Eine wirkliche Bühnenshow gibt es nicht. Die Show besteht einfach aus der musizierenden Band. Aber bei 13 Musikern ist das ja auch schon eine Menge. Das Bühnenbild besteht aus einer Reihe kugelförmiger weißer Ballons, die in verschiedenen Farben leuchten können und dazu ein paar Varilights. Insgesamt eher unspektakulär, aber sehr geschmackvoll.



Jonsi mit seinem Pferdeschwanz und diesem "Piratenmantel" sieht ein wenig aus wie eine Mischung aus Peter Pan, Pippi Langstrumpf und Guybrush Treepwood. Gibt es nicht auch Elfen in Island? Das müsste es sein. Entweder das dort auf der Bühne sind Außerirdische oder Elfen. Die Musik klingt stark danach.

Ich hatte ja eigentlich ein sehr ruhiges, meditatives Konzert erwartet. Streicher, Piano, Orgeln, Xylophon... klingt ja alles nicht sehr nach Rock. Von wegen!

Erstmal war das Konzert deutlich lauter als erwartet. Nicht unangenehm laut, für meinen Geschmack gerade richtig, aber ich hätte mit etwas leiseren Tönen gerechnet. Und wer mal ein sigur rós Album gehört hat, wird wissen, dass es dort sehr viele ruhige entspannte Momente gibt. Nun, die gab es bei dem Konzert auch, aber die meiste Zeit über hat die Band richtig aufgedreht und einen Kracher nach dem anderen rausgehauen. Zwar unterscheiden sich die Liveversionen gar nicht mal stark von den Studioaufnahmen, trotzdem kann man das einfach nicht miteinander vergleichen. Wenn ich Sigur Rós auf CD höre, kann ich dabei vielleicht sogar einschlafen. Live wäre daran gar nicht zu denken. Da wollte ich tanzen!

Leider war es ein bestuhltes Konzert. So konnte ich zunächst nur mit dem Kopf wippen und mit den Händen auf meinenKnien rumtrommeln. Irgendwann hatte es ein Menschenkind gepackt, es ist aufgesprungen von seinem Sitz und tanzte vor der Bühne. Ich war ja direkt etwas neidisch. Mit 5 Bier mehr hätte ich da gerne mitgemacht. Ich wollte doch auch gern mit den Elfen tanzen. Aber die Security gab mal wieder den Spielverderber und geleitete den jungen Mann wieder zu seinem Stuhl. Dämlich und unnötig. Denn es dauerte nicht mehr lange, da hat es ohnehin niemanden mehr auf den Sitzen gehalten.


Die Band spielte sich immer mehr in Extase und das Publikum ging mit. Zwischenzeitlich traktierte Jonsi seine Gitarre mit dem Cellobogen derart brutal (er verprügelte seine Gitarre regelrecht damit), dass er 2 oder 3 Bögen während der Show zerschliss. Rosshaar um Rosshaar zerriss und fledderten vom Bogen. Die Klänge, die dort aus der Gitarre kamen, klangen immer agressiver. Mich hätte nicht überrascht, wenn er wie Pete Townsend die Gitarre auch noch zertrümmert hätte.


Beim Finale von Festival rieselte es auf einmal Feenstaub auf das Publikum. Ich hatte mich schon darauf gefreut, gemeinsam mit Peter Pan und den Elfen nach Nimmerland zu fliegen, da stellte ich fest, dass es doch nur Konfetti war.


Die Elfen waren ein wenig scheu (wie das bei Elfen nunmal so ist). Es sollte wohl knapp eine Stunde dauern, bis sie anfingen mit dem Publikum zu sprechen. Wenigstens sind sie diesmal nicht hinter einem Vorhang aufgetreten. Man muss das verstehen. Im Tempodrom waren wohl mehr Menschen, als man in Island jemals auf einem Haufen zu sehen bekommt. Jonsi erzählte, dass dies ein besonderer Abend für die Band sei, da sie nun zum letzten Mal mit den Streichern von Amiina und den Bläsern (wenn ich das richtig mitbekommen habe) spielen. Schade.
Bei ein paar Songs wurde das Publikum dann auch zum Mitsingen animiert (Með Blóðnasir) und bei Gobbledigook auch zum Mitklatschen (das ist ein irrer schneller Takt, da wird das Klatschen sehr anstrengend). Gobblediggok besteht außer Gitarre und Gesang eigentlich nur aus Trommeln. So hatte auch alles auf der Bühne, was zwei gesunde Arme hatte, eine Trommel oder Pauke genommen und es wurde getrommelt, was das zeug hält. Das Publikum hat kräftig mitgesungen (ein Großteil des Textes ist einfach nur "lalalalalala", da geht das Mitsingen schonmal) mitgeklatscht und mit den Füßen getrampelt. Das Tempodrom bebte. Zum Schluss des Songs kam dann nochmal der Feenstaub (jaja, es war wieder nur Konfetti). Damit war der Hauptset beendet und das Publikum zollte donnernden, frenetischen Applaus.


Die Zugabe ließ nicht lange auf sich warten. Nach einem mitreißenden Olsen Olsen kam für mich der eigentliche Höhepunkt des Abends: Popplagið: Eine psychedlische Nummer der Extraklasse. Immer lauter, immer intensiver steigerte die Band sich in einen treibenden Rhythmus. Das Publikum war auf den Beinen und tanzte wie besessen zu den bizarren Klängen. Immer heftiger schwoll das Crecendo an, Band und Publikum steigerten sich in eine heftige Extase. Ich war wie bekloppt am Headbangen (das geht auch ohne lange Haare). Dann setzte auch noch ein Strobolicht ein und sowohl Band als auch Publikum schienen jeden Kontakt zur realen Welt verloren zu haben. Mein Gott, wenn das noch ein paar Minuten länger so weitergegangen wäre, hätten sich vermutlich die ersten Leute ihre Klamotten vom Leib gerissen und eine wilde Orgie gestartet (vielleicht wäre es aber auch einfach nur zu ein paar epileptischen Anfällen gekommen). Doch die Elfen hatten ein Einsehen und brachten das Crescendo zur Klimax, ehe Schlimmeres geschehen konnte. Der Drummer warf seine Sticks ins Publikum und Jonsi die Gitarre (ein weiterer Bogen hatte gerade wieder das Zeitliche gesegnet) in die Drums. Rock'n'Roll! Wahnsinn! Soviel zum Thema ruhige, entspannte Musik. Die gab es dann bei der nächsten Zugabe zum "Runterkommen": Eine sehr schöne, gefühlvolle version von Heysátan.

Danach kam die Band noch mehrfach unter dem donnernden Applaus des Publikums auf die Bühne, um sich zu verbeugen. Die Bläser vollführten noch eine kleine Artistikformation. Gespielt haben sie leider nichts mehr.



Danach sind die Elfen auf ihre Einhörner gestiegen und wieder nach Island zurückgeritten. Vermute ich jedenfalls. Das Raumschiff Tempodrom war dann auch wieder in Berlin gelandet, als wäre es nie weggewesen. Aber ich weiß es besser. Zwischenzeitlich waren wir ganz bestimmt auf einem anderen Planenten.



Moondust will cover you!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Topographic
Mitglied

Beiträge: 675


New PostErstellt: 15.08.08, 01:25  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Was für ein begeisternder Konzertbericht - und welch tolle Bilder.
Ich hab SR vor Jahren in Karlsruhe mal live gesehen, aber dein Bericht an sich toppt schon das damalige merkwürdige Konzerterlebnis.
Große Klasse, danke !! Ich werde sie mir also mal wieder ansehen.



And for a moment when our world had filled the skies
Magic turned our eyes


____________________
Please mind the gap between the train and the platformedge!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden
Eric
Mitglied

Beiträge: 1565
Ort: Hamburg


New PostErstellt: 15.08.08, 01:42  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Danke für die Blumen, Topo. Die Bilder sind allerdings nicht von mir, sondern stammen von anderen Berichten im Netz über das Konzert. Ich habe es aufgegeben, mit meinem Handy Bilder zu schießen. Das wird nix. Wenn sich mal wieder die Gelegenheit ergibt, werde ich definitiv wieder zu Sigur Rós gehen.



Moondust will cover you!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Royale
Moderator

Beiträge: 3089
Ort: Schönste Stadt der Welt


New PostErstellt: 15.08.08, 04:08  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Eigentlich wollt ich nur noch schnell deinen Konzertbericht lesen, doch dann riss mich dein Bericht aus der Erdumlaufbahn und zu fernen Planeten voller Begeisterung und Euphorie. Ich kann mich förmlich für dich freuen, dass du da warst. Es muss wunderschön gewesen sein, das ist das Mindeste, was dein Bericht vermittelt.

Gib's doch zu, du machst das unter irgendeinem Synonym beruflich...?


Ein ganz großer Bericht, Eric...! Klasse


____________________
They call our studio the hospital
Making money from the sick
We let people be themselves
There is no other trick


Extract from 'The Barry Williams Show' by Peter Gabriel
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden
BRAIN
Administrator

Beiträge: 1509

New PostErstellt: 15.08.08, 10:19  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

danke Eric das du uns durch deinen Bericht an diesem Event auch etwas teilhaben lässt.
Für mich stand Wiesbaden am 12.08.08 auch schon fest auf dem Programm aber eine Magen/Darm Infektion machte mir ein Strich durch die Rechnung.
Das Amiina hier wieder dabei waren hat mich überrascht den schon auf der Heima DVD war die Rede davon das sie sich trennen und das letzte Konzert gespielt haben.

"It's better to burn out than to fade away."


[editiert: 15.08.08, 10:26 von BRAIN]
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden
DocFederfeld
Mitglied

Beiträge: 598

New PostErstellt: 15.08.08, 11:05  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Die F.A.Z. vom heutigen 15.8. hat auch eine begeisterte Kritik geschrieben - vielleicht sollte ich doch noch nach Luxemburg fahren? Das klingt ja sehr überzeugend, auch wenn ich beim Reinhören in die Alben bisher keinen Zugang zu der Musik gefunden habe.

    Zitat:
    Im Namen des Rosenwassers

    Von Christina Hoffmann

    14. August 2008 Die kleinen Möndchen und großen Monde, die im überdimensionalen Zirkuszelt des Berliner „Tempodroms“ über der Bühne hängen, lullt eine sphärische Larmoyanz ein, wie sie heiße Quellen nicht besser ausspucken könnten. Den ausverkauften Saal umschmeichelt elegische Elfenmusik, wie sie im Bilderbuche steht, dargeboten von den Spezialisten in der Disziplin musikalischer Metaphysik: Sigur Rós.

    Das Quartett gilt als Begründer des isländischen Sounds, der im Zwischenraum von Prog Rock und Entspannungsmusik leicht verstrahlt Klangteppiche übereinander- schichtet. Plötzlich brechen massive Verzerrer in den vor sich hin wabernden Wohlklang ein. Jón Thor Birgissons gewalttätiges Fiedeln mit einem Geigenbogen über seine Gitarre wechselt mit einem waidwunden Jaulen. Das esoterisch angehauchte Klimbim kollabiert im Crescendo mit brachialem Bombast. Sigur Rós geben „Svefn-G-Englar“ von ihrem Debütalbum live eine aggressive Note, die in einem minutenlang gestöhnten „Üüüh“ ausglüht - bis zur Erschöpfung von Birgissons Lungenvolumen.

    Feister Sound

    Danach verzichten Sigur Rós weitgehend auf ihre Grundformation, eine klassische Pop-Rock-Besetzung mit Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug. Letzteres, getrommelt von Orri Páll Dýrason, führt den feisten Sound an. Nach dem ersten Song mischen altbekannte Landsmänninnen mit: Das Quartett Amiina streicht mit drei Geigen und einem Cello den Hintergrund aus, zunächst vor allem aus dem älteren Stücke-Repertoire. Das zeichnet sich bei all seiner steten isländischen Andersartigkeit auf Dauer durch eine gewisse Gleichförmigkeit aus.

    Ein paar flächige Stücke voller Xylophon und vibrierendem Bass später marschiert - ganz in Weiß und mit Hütchen - eine fünf Mann starke Blaskapelle auf die Bühne. Sie verstärkte mit Tuba und Posaunen schon das kürzlich erschienene Album „Með suð í eyrum við spilum endalaust“ (Auf Deutsch etwa: „Mit einem Klingen in den Ohren spiele ich endlos weiter“). Darauf haben Sigur Rós das Tempo und die gute Laune für sich entdeckt: Heitere, ja geradezu fröhliche Nummern ersetzen im ersten Drittel der Platte die ewigen Moll-Leiern in Überlänge durch ein hübsches Pop-Format mit Akustikgitarren. Fängt auch die Band jetzt an, musikalisch vom Ätherischen zum Erdigen umzusatteln, verzichtet sie im Konzert noch immer weitestgehend auf Ansagen.

    Aber dann - wer hätte das gedacht? - fordern die ewig wortkargen Sigur Rós, die Interviews konsequent verweigern, das hingerissene Publikum zum Mitmachen auf: Zu den ersten Takten von „Inni mêr syuqur vitteysingur“, einem Song mit Hit-Qualität von dem jüngsten Album, klatschen mehr als dreitausend Paar Hände. Die Männer in Weiß formieren sich zum Ringelpiez ohne Anfassen. Sie tänzeln im Kreis und intonieren ein herrlich versponnenes Bläsersolo, während Scheinwerfer weiße Lichtkanonaden gegen Nebelschwaden schießen. Sigur Rós setzen wieder auf ihr liebstes Stilmittel: das Crescendo. Bis zum Anschlag bearbeiten die dreizehn Musiker ihre Instrumente - und halten wie auf Kommando inne. In der abrupten Stille applaudiert es zaghaft. Da steigen Sigur Rós samt Verstärkung nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ein, nur um nach ein paar Takten kollektiv abzubrechen. „O Mann!“, schreit ein Begeisterter in die Stille.

    Auch der Eröffnungssong der vergangenen Platte reißt das Publikum vom Hocker. Die übermütige Pop-Folk-Nummer „Gobbeldigook“ droht das Sitzkonzert zu sprengen: Vor der Bühne springt selbstvergessen und mit diebischer Freude ein junger Mann umher, bis ein Sicherheitsmann das Rumpelstilzchen nach hinten bugsiert. So viel Freigeist wünscht das Zirkuszelt anscheinend nicht. Der Stimmung im Tempodrom schadet es allerdings nicht. Das Publikum fordert nach der ersten Zugabe noch eine und noch eine. Die meisten klatschen selbst weiter, als schon fahles Licht brennt und die Bühne daliegt wie ein verwaister Musikbedarfsladen.

    Text: F.A.Z.
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden
Eric
Mitglied

Beiträge: 1565
Ort: Hamburg


New PostErstellt: 15.08.08, 13:14  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Doc, ich hab zwar auch einen Zugang zu den Studioaöben, aber Live ist das nochmal etwas völlig anderes. Letztlich ist auch bir mir erst live der Funke vollständig übergesprungen. Danke für das Posten der FAZ Kritik. Haben die von mir abgeschrieben?

Wenn du es irgendwie möglich machen kannst, darfst du dir die Band nicht entgehen lassen. Bei keiner anderen Band liegen schwere Melancholie und unbeschwerte, ungehemmte Euphorie und Lebensfreude so eng beieinander.



Moondust will cover you!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Max
Moderator

Beiträge: 6325


New PostErstellt: 15.08.08, 15:08  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

Eine Fehlentscheidung bei den Tickets in Köln zu geizen ...
Auf jeden Fall ein toller Bericht Eric!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden ICQ-Nachricht an dieses Mitglied senden
BRAIN
Administrator

Beiträge: 1509

New PostErstellt: 15.08.08, 15:59  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: DocFederfeld
    Das klingt ja sehr überzeugend, auch wenn ich beim Reinhören in die Alben bisher keinen Zugang zu der Musik gefunden habe.
Ich würde als Ohrenöffner die Heima DVD oder DoCd empfehlen.
Schwer zugänglich war für mich vor allem die ()

@Eric ich finde das Live dargebotene Musik generell besser zündet wie als Tonkonserve daheim.



"It's better to burn out than to fade away."
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden
Eric
Mitglied

Beiträge: 1565
Ort: Hamburg


New PostErstellt: 15.08.08, 16:34  Betreff: Re: Sigur Rós in Berlin 13. August 08  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: BRAIN
    Ich würde als Ohrenöffner die Heima DVD oder DoCd empfehlen.
    Schwer zugänglich war für mich vor allem die ()
Die DVD fordert vom Zuschauer aber viel Geduld ab. Die ständigen Unterbrechungen der Musik nerven tierisch. Trotzdem ist dargebotene Musik wirklich fantastisch. Die Harv/Heim Doppel CD ist leider NICHT die CD-Version von Heima.

    Zitat: BRAIN
    @Eric ich finde das Live dargebotene Musik generell besser zündet wie als Tonkonserve daheim.
Da würde ich nicht unbedingt zustimmen. Manchmal können die Liveversionen einfach nicht rüberbringen, was die Musik eigentlich ausmacht. Aber in vielen Fällen hast du natürlich recht. ABer gerade bei Sigur Rós war der Unterschied wirklich gigantisch!



Moondust will cover you!
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Sortierung ndern:  
Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite: 1, 2
Seite 1 von 2
Gehe zu:   
Search

powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos

Design © trevorj