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bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 25.01.08, 19:31     Betreff:  Re: Grundrecht der Demonstrationsfreiheit ist der Staatsmacht ein Dorn im Auge

kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2008/01-25/024.php


Mit beiden Stiefeln fest auf dem Grundgesetz

Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik (Teil 2 und Schluß): Der Inlandseinsatz der Bundeswehr wird konsequent vorbereitet
Von Frank Brendle



Anfang der neunziger Jahre hat die Bundeswehr mit den Auslandseinsätzen begonnen, und für Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist der Inlandseinsatz die logische Konsequenz. Ende 1993 stellte er in einem Brief an die CDU-Mitglieder die rhetorische Frage, »ob die Bundeswehr nicht unter streng zu definierenden Voraussetzungen auch bei größeren Sicherheitsbedrohungen im Innern – wie die Armeen aller anderen zivilisierten Staaten – notfalls zur Verfügung stehen sollte«; er dachte dabei an Castortransporte, Chaostage und die Abwehr von Flüchtlingen.

Damals sind die Argumente entwickelt worden, die heute gang und gäbe sind: »Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit«, sagte der damalige Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) am 14.Januar 1994 im Bundestag. Und Johannes Gerster, Fraktionsvize der Union, meinte, die Bundeswehr müsse das »Überschwappen« von Kriminellen und Terroristen verhindern. Konsensfähig war das damals noch nicht. Selbst in der Union gingen viele auf Distanz, und Rudolf Scharping von der SPD, der spätere Verteidigungsminister, verglich die Schäuble-Vorstellungen mit dem spanischen Franco-Regime.

Doch Schäuble hatte sein Betätigungsfeld gefunden und prophezeite am 14. Januar 1996 in der Süddeutschen Zeitung: »Das Thema wird so lange auf der Tagesordnung bleiben, bis es in dem Sinne gelöst wird, den ich vorgeschlagen habe.«


»Vernetzte Sicherheit«

Seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 hat Schäuble Oberwasser. Der »Krieg gegen den Terror« wirkt auf die innere Militarisierung wie ein Katalysator. Schäubles Aussichten sind heute nicht nur in den Unionsparteien verankert, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch bei SPD und Grünen, wie das von ihnen verabschiedete Luftsicherheitsgesetz zeigt. Die historischen Erfahrungen werden entweder ignoriert oder instrumentalisiert. Mit der Begründung, die »innere Führung« sei erfolgreich und das Militär stehe auf dem Boden des Grundgesetzes, soll jetzt möglich sein, was 1956 und 1968 mit guten Gründen abgelehnt wurde.

Der Schlüsselbegriff, der die Aufrüstung der Staatsmacht legitimieren soll, lautet »vernetzte Sicherheit«. Seine Logik läuft darauf hinaus, militärische Überlegungen und »Notwendigkeiten« als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, die ressortübergreifend erfüllt werden müsse. So wird im Weißbuch der Bundeswehr ein »umfassender Ansatz« beschworen, der »neben den klassischen Feldern der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik unter anderem die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, Finanz-, Bildungs- und Sozialpolitik« beinhaltet. In der gleichen Logik fordert die EU-Militärdoktrin, »die gesamte Palette der uns zur Verfügung stehenden Instrumente der Krisenbewältigung und Konfliktverhütung (einzusetzen), einschließlich unserer Maßnahmen im politischen, diplomatischen, militärischen und zivilen, handels- und entwicklungspolitischen Bereich« (Europäische Sicherheitsstrategie, Abschnitt III, Dezember 2003). Wenn sich Staaten zum Krieg rüsten, sollen alle Politikbereiche mit dem Militär kooperieren.

In einem programmatischen Beitrag in der Strategiezeitschrift Europäische Sicherheit im August 2007 spricht Stephan Böckenförde, Mitarbeiter der Bundeswehrakademie für Information und Kommunikation (vormals »Psychologische Verteidigung«), von einem »neuen Sicherheitsbewußtsein«. Dieses berücksichtige auch solche Entwicklungen, die »indirekt, mittelbar durch Folgeeffekte und zeitverzögert eine Bedrohung für die eigene Sicherheit darstellen könnten«. Das ist eine Analyse, die kaum noch allgemeiner sein könnte und im Bereich der Militärpolitik gleichsam die Unschuldsvermutung aufhebt (ganz im Sinne Schäubles). Zugleich soll dies die Aufstellung flexibler, in kürzester Zeit an jedem Ort der Welt einsetzbarer Kommandotruppen rechtfertigen.

Wo sich alles »vernetzt«, werden rechtliche Beschränkungen genauso wie Landesgrenzen hinfällig. »Vernetzte Sicherheit« läuft auf ein »funktionales Denken« hinaus, so Böckenförde, was hier als Gegensatz zu »rechtlich definiert« gelesen werden muß. Im Klartext heißt das: Die Bundeswehr darf alles, überall, jederzeit, gegen jeden. Konsequenterweise hält es Böckenförde für »sicherheitspolitisch unsinnig, die Streitkräfte exklusiv von der Erfüllung bestimmter Aufgaben im Inland« fernzuhalten.


»Heimatschutz«

Dieser Logik entspricht die Unionsforderung nach einem »Gesamtkonzept Sicherheit«. Ein Beschluß der CDU/CSU-Fraktion vom März 2004 sieht »eine starke Heimatschutzkomponente« aus 25 000 Soldaten vor, als Teil der »Vorsorge gegen asymmetrische und terroristische Bedrohungen«. Die Union will dafür bis zu 50 »Regionalbasen« mit jeweils bis zu 500 Soldaten schaffen, die mit Reservisten auf bis zu 5000 Soldaten »aufwachsen« können.

Als Aufgaben dieser »Heimatschutz«-Verbände nennt das Fraktionspapier unter anderem die »Bereitstellung personeller Ressourcen für Bewachung, Kontrolle und Sicherung im Fall besonderer Gefahrenlagen« und »im Rahmen der Abschreckung die Bewachung von Liegenschaften und kritischer Infrastruktur«, also klassische Polizeiaufgaben.

Der Begriff »kritische Infrastruktur« umfaßt alles, was zur Profitabsicherung im Kapitalismus notwendig ist: Kraftwerke, Banken, Kommunikationsanlagen, Verkehrswege, Staudämme usw. Im Ausland schießt die Bundeswehr den Zugang zu Ressourcen frei, und im Inland stellt sie sich vor die Einrichtungen, die zur profitbringenden Verarbeitung dieser Ressourcen notwendig sind. Die Union argumentiert, dies seien »allesamt Fähigkeiten, die die Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall in großem Umfang leisten müßte« und im Ausland tatsächlich schon leiste. Wer darauf beharrt, es mache einen Unterschied, ob nach Besatzungsrecht serbische Klöster im Kosovo bewacht werden oder mitten im Frieden der Hauptbahnhof in Berlin, dem ruft die Union entgegen: »Es muß endlich Schluß sein mit ideologischen Blockaden.« Einige der Unionsforderungen sind bereits umgesetzt: in Form der sogenannten Zivil-Militärischen Zusammenarbeit/Inland (ZMZ/I), die Teil des »Heimatschutzes« ist.

Es werden zwar nicht 25000 »Heimatschützer« aufgestellt, aber im vorigen Jahr sind Dienstposten für immerhin 5500 Reservisten geschaffen worden. Die Bundeswehr hat sich an die zivilen Verwaltungsstrukturen angeglichen und das ganze Land mit Kommandos überzogen. Auf der unteren Ebene – Landkreise und kreisfreie Städte – agieren 426 Kreisverbindungskommandos, in den Regierungsbezirken 31 Bezirksverbindungskommandos. Sie bestehen aus jeweils zwölf Reservisten (angestrebt: fünf Stabsoffiziere, drei Offiziere und vier Feldwebel). Einer der Stabsoffiziere steht als »Beauftragter der Bundeswehr für ZMZ« an der Spitze eines solchen Kommandos. Dieser hat die Aufgabe, bereits im »Grundbetrieb« den engen Kontakt mit den örtlichen zivilen Katastrophenschutzstäben zu pflegen und ein Büro in der entsprechenden Behörde (Rathaus, Landratsamt, Regierungspräsidium) zu beziehen. Bei Bedarf werden dann die anderen elf Reservisten aktiviert. Sie werden durch 32 mobile »Regionale Planungs- und Unterstützungstrupps« unterstützt, die zu Beginn von Einsätzen eine Art Starthilfe leisten sollen.

Auf Landesebene sind Landeskommandos in den Hauptstädten der 16 Bundesländer installiert worden, in denen bis zu 90 Soldaten arbeiten. Die Oberhoheit hat das Streitkräfteunterstützungskommando in Köln. Bis zum Jahr 2010 sollen noch 16 ZMZ-Stützpunkte mit besonderen Kapazitäten in den Bereichen Pionierwesen, Sanitätsdienst und ABC-Abwehr hinzukommen, wofür weitere 5000 Reservistendienstposten vorgesehen sind.


Militär-Zivil-Kommandos

Diese Entwicklung läuft auf einen zentralisierten Katastrophenschutzapparat unter militärischem Oberkommando hinaus. »Führung aus einer Hand durch die erprobte Struktur der Bundeswehr« fordert das Konzept der Unionsfraktion. Der erste Schritt zur Zentralisierung ist bereits mit der Gründung des »Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe« (BBK) vor drei Jahren erfolgt, das zur zentralen Regulierungsstelle werden soll. Es arbeitet eng mit der Bundeswehr zusammen, in seiner Vierteljahreszeitschrift Homeland Security räsonieren regelmäßig Generäle über »Sicherheits«-Fragen und Grundgesetzänderungen. Das Amt bietet an seiner »Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz« (AKNZ) gemeinsame Schulungen für ziviles und militärisches Personal (800 Lehrgangsplätze) und führt die länderübergreifende Katastrophenschutzübung LÜKEX durch. Im vorigen November wurde eine Grippe-Pandemie simuliert. Diese Übung, so freute sich Schäuble in der abschließenden Presseerklärung, sei ein wichtiger »Beitrag zur Weiterentwicklung der gesamtstaatlichen Schutzmaßnahmen« gewesen, natürlich unter Beteiligung der ZMZ-Kommandos.

Die Bundesländer treiben die Militarisierung des Katastrophenschutzes voran. Dabei droht die Subsidiarität auf der Strecke zu bleiben. Denn wenn die Bundeswehr permanent in die Arbeit der Zivilbehörden eingebunden ist, steigt unwillkürlich ihr Einfluß. Zivilbehörden neigen bereits jetzt dazu – schon aus Kostengründen –, sich zu sehr aufs Militär zu verlassen. Im Bericht eines Arbeitskreises der Innenministerkonferenz vom April 2005 wird gefordert, die Bundeswehr solle ihr gesamtes Potential »für den Schutz der eigenen Bevölkerung im Inland« einsetzen, und zwar dauerhaft und eigenverantwortlich. Und die Arbeitsgruppe des Bundesrats »Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung« forderte im März 2006, zwecks »Planungssicherheit« dürfe die Unterstützung des sogenannten Heimatschutzes »nicht nur ›subsidiär‹ erfolgen, sie muß vielmehr zu einer originären Aufgabe der Bundeswehr werden«.

Nun nutzt die Bundeswehr zwar gerne die Möglichkeit zum Imagegewinn, wenn sie sich als professioneller Akteur auf allen Ebenen in Szene setzen kann. Doch derart festlegen, wie von den Ländern gefordert, will sie sich nicht und erklärt in ihrem Sachstandsbericht (30.1.2007): Für Katastrophenschutz im Inland stehen nur jene Kapazitäten zur Verfügung, »die nicht im Auslandseinsatz gebunden sind«. Das zeigt, wie riskant der Kurs der Bundesländer ist, beim Katastrophenschutz aufs Militär zu bauen und die warnenden Stimmen aus Feuerwehr und Hilfsorganisationen zu ignorieren.


Notstandspläne erweitert

Mit Katastrophenschutzleistungen wird sich das Militär dennoch nicht begnügen. Die ZMZ-Beauftragten der Bundeswehr erhalten regelmäßige Fortbildungen an der »Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr«, unter anderem im Bereich »Alarmierung und Mobilmachung«. Es werden jetzt Strukturen geschaffen, die ausbaufähig sind, um von Hilfseinsätzen zur Repression übergehen zu können – ähnlich wie bei den Auslandseinsätzen, die mit vorgeschobenen »Hilfs«-Argumenten begannen und bald schon in völkerrechtswidrige Angriffskriege umschlugen.

Der eigentliche Sinn von Grundgesetzartikel 87a war, das Einnisten des Militärs in zivile Strukturen zu verhindern. Aber diese alten Regelungen entsprechen offenbar nicht mehr den Bedürfnissen eines kriegführenden Staates.

Wohin die Reise beim »Heimatschutz« geht, wird vom ehemaligen Bundeswehrjuristen Roman Schmidt-Radefeldt in den Unterrichtsblättern für die Bundeswehrverwaltung (Heft 5/2006) folgendermaßen beschrieben: Das Konzept umfasse »einen Schnittmengenbereich zwischen militärischer Verteidigung, zivilem Katastrophenschutz, polizeilicher Gefahrenabwehr und – in einer linearen Eskalation – dem inneren Staatsnotstand«. Geht es nach Schäuble und Jung, dann wird dieser Staatsnotstand künftig infolge von Terroranschlägen erklärt.

Die Union will den Verteidigungsfall in der Verfassung neu definieren. Das Vorhaben geht zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das im Februar 2006 das Luftsicherheitsgesetz verworfen hatte, weil der Abschuß eines »verdächtigen« Zivilflugzeuges die Menschenwürde der Passagiere verletzen würde. Das will die Union mit der Änderung des Artikels 87a Grundgesetz ändern: Nicht mehr nur bei einem kriegerischen Angriff, sondern bereits bei »sonstigen Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens« soll der Verteidigungsfall erklärt werden. In diesem Zusammenhang hat Schäuble in der Süddeutschen Zeitung vom 1. Januar 2007 von einem »Quasi-Verteidigungsfall« gesprochen. Dieser erlaubt es seiner Logik nach, auch Zivilisten gezielt zu töten. Wie sehr »funktionales« Denken darauf hinausläuft, zentrale Grundwerte in Frage zu stellen, zeigt Schäubles Behauptung im Tagesspiegel vom 5. Januar 2007: »Ob völkerrechtlicher Angriff oder innerstaatliches Verbrechen, ob Kombattant oder Krimineller, ob Krieg oder Frieden: Die überkommenen Begriffe verlieren ihre Trennschärfe und damit ihre Relevanz.« Da ist es nur konsequent, daß Kriegsminister Jung im vorigen September ankündigte, im Zweifelsfall auch ohne Rechtsgrundlage seinen »Alarmrotten« den Abschußbefehl zu erteilen.

Der SPD gehen diese Notstandspläne zu weit. Sie möchte es lieber dabei belassen, das polizeiliche Instrumentarium um militärische Komponenten zu erweitern. Der Hebel soll eine Änderung der Katastrophenhilfebestimmungen des Artikels 35 sein. Dies soll der Bundeswehr künftig den Einsatz spezifisch militärischer Mittel – also etwa von Jagdflugzeugen – erlauben. Das wäre ein kleinerer Schritt, aber in die gleiche Richtung.


Amtshilfe und Einsatz

Eine Ahnung vom anvisierten Staatsnotstand vermittelte der Polizei- und Bundeswehreinsatz in Heiligendamm. Wie weiland im »kleinen Belagerungszustand« des Kaiserreichs waren Grundrechte ausgesetzt, und das Militär nahm teils direkte, teils indirekte Polizeiaufgaben wahr. Die Regierung beharrt indes darauf, die Truppe habe nur technisch-logistische Amtshilfe geleistet, aber keinen »Einsatz« im Sinne des Artikels 87a. Damit steht die Frage im Raum: Was eigentlich unterscheidet einen »Einsatz« von »Amtshilfe«? Im Grundgesetz fehlen Definitionen, aber es gibt wichtige Hinweise in der Fachliteratur.

Die meisten Juristen unterscheiden zwischen einer »schlichten Verwendung« (Amtshilfe) und dem Ausüben einer »obrigkeitlichen« Tätigkeit (Einsatz). Sobald Soldaten Aufgaben erfüllen, die sonst Polizisten vorbehalten sind, sie also gegenüber zivilen Bürgern Zwang anwenden, leisten sie einen Einsatz. Sandsäcke zum Deich bringen ist eine »schlichte Verwendung«, werden jedoch Passanten daran gehindert, den Deich zu betreten, handelt es sich um einen Einsatz. Oder: Aufklärungs»tornados« nach vermißten Kindern suchen zu lassen ist erlaubt. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Suche nach Straftätern aber nicht, weil Festnahmen nur die Polizei vornehmen darf.

Nicht nur, wenn die Bundeswehr selbst in Bürgerrechte eingreift, ist sie im Einsatz, sondern bereits dann, wenn sie die Polizei in einer Form unterstützt, die es dieser erst möglich macht, obrigkeitlich zu handeln. Diese Einsicht ist nicht neu. Bereits in den 80er Jahren lösten Berichte über ein »Amtshilfeabkommen« zwischen Bundeswehr und bayerischer Polizei, betreffend die Demonstrationen an der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, heftige Kritik aus. Die Völkerrechtler Ralf Jahn und Norbert K. Riedel hielten im November 1988 fest: »Eindeutig Einsatzqualität besitzt die Zurverfügungstellung von militärischem Gerät einschließlich der sie bedienenden Soldaten, wie z. B. Aufklärungsflüge von Bundeswehrhubschraubern bei Demonstrationen. Hier wird militärisches ›Know-how‹ in Anspruch genommen, das seinem Zweck nach innenpolitisch nicht neutral ist.« Auch in der Zeitschrift Bundeswehrverwaltung, Heft vom Juli 1986, ist damals die Unterstützung »durch militärtypische Mittel, wie z. B. Hubschrauber, Mannschaftswagen, Spezialfahrzeuge usw.« für verfassungswidrig erklärt worden. Die Bundeswehr müsse sich aus inneren Konflikten heraushalten, um nicht »die von ihr erwartete innenpolitische Neutralität dem ganzen Volk gegenüber« zu verlieren. In seinem Buch »Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren« bestätigt der Jurist Jan-Peter Fiebig, ein Einsatz sei »gegeben, wenn Soldaten Fahrzeuge, insbesondere Luftfahrzeuge, der Streitkräfte [...] zur optischen Überwachung von Großveranstaltungen und deren Umgebung verwenden und etwaige Aufklärungsergebnisse an die für unmittelbar obrigkeitliches Vorgehen vorgesehenen« Polizeistellen weitergeben.

Das läßt sich mühelos auf den G-8-Gipfel übertragen. 14mal stiegen die Aufklärungs»tornados« auf, die Polizei konnte sich bei dem Bildmaterial frei bedienen und hat nach offiziellen Angaben 101 Aufnahmen mitgenommen, die meisten von den Protestcamps. Neun Spähpanzer »Fennek« überwachten vor allem nachts mögliche Anfahrtsrouten von Demonstranten und machten bei Verdacht sofort die Polizei aufmerksam. Das macht die Bundeswehr-Tätigkeiten zum Einsatz, für den es – mangels einer Katastrophe – keine Verfassungsgrundlage gab.

Hinzu kommt der Aspekt der sogenannten »Show of force«, also der demonstrativen Präsenz des Militärs. Wenn Soldaten in großen Gruppen auftreten, ist aus Bürgersicht »kein anderer Schluß möglich als derjenige, daß diese Soldaten dort als Ordnungskräfte eingesetzt sind und zur Aufrechterhaltung der Ordnung [...] notfalls Gewalt und eben auch Waffengewalt anwenden werden«, schreibt Fiebig. Das stelle »aufgrund des Eindrucks, der bei den Anwesenden erzeugt wird«, die »Ausübung von Zwang« dar.

Ein Blick zurück auf Heiligendamm: Bis zu 640 Feldjäger mit Pistolen oder dem Maschinengewehr G36 waren in der ganzen Region unterwegs, mehrfach in der Nähe der Protestcamps. Daß sich Demonstranten hiervon nichts Gutes versprachen und annehmen mußten, die Feldjäger würden einschreiten, wenn man – trotz Verbots – auf die Straße ginge, liegt auf der Hand, weswegen auch hier ein verfassungswidriger »Einsatz« vorliegt.


Reaktion rüstet sich

Seit mindestens fünf Jahren stellt die deutsche Militärdoktrin Inlandseinsätze in Aussicht – »im Rahmen der geltenden Gesetze«, den die Regierungsparteien erweitern wollen. Bis sie soweit sind, laborieren Innen- und Verteidigungsminister am Rand der Verfassungsmäßigkeit bzw. übertreten ihn, wie in Heiligendamm. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren ein rasanter Anstieg der »Amtshilfeleistungen« zu verzeichnen: Von einem pro Jahr auf zehn, wie die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Ulla Jelpke (Die Linke) mitteilte. Wenn auch die parlamentarische Kontrolle heute besser ausgeprägt ist als im Kaiserreich und der Weimarer Republik, effektiv kann man sie kaum nennen. Beim G-8-Gipfel wurde der Bundestag nach Strich und Faden getäuscht, und »Amtshilfe«-Einsätze sind weder zustimmungs- noch berichtspflichtig. Hinzu kommt die ebenfalls kaum kontrollierte, schleichende Militarisierung der Bundespolizei und der EU-weite Trend zur Stärkung paramilitärischer Gendarmerieverbände.

Wozu das Ganze? Bangen die Herrschenden tatsächlich um ihre Macht? Die Frage ist müßig. Als 1968 die Notstandsgesetze eingeführt wurden, sprachen die Konservativen ständig von möglichen Aufständen und Revolutionen. Sie gaben zu, daß es keinerlei Anzeichen dafür gebe, aber man könne ja nie wissen und müsse stets vorbereitet sein. Auch heute ist eine Revolution nicht in Sicht, doch die Hetztiraden, denen wochenlang die Lokführer der GDL ausgesetzt waren, erinnern daran, daß Militäreinsätze in Deutschland immer schon im Dienste der Reaktion standen.

Die Linken hatten 1968 vor allem Sorge vor einem möglichen Putsch der Bundeswehr. Heute geht die größte Gefahr für die Demokratie wohl von Regierungspolitikern aus, die bei jeder Gelegenheit zentrale Grundrechte in Frage stellen und sich auf eine Generalität stützen können, die Befehle völlig kritiklos ausführt.

Abschließend sei die Bundeskanzlerin zitiert, die einige Monate vor ihrem Amtsantritt, auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« im Februar 2005, deutlich gemacht hat: »Die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen zunehmend. Internationale Einsätze unter Beteiligung Deutschlands und Heimatschutz sowie Einsatz der Bundeswehr im Innern sind deshalb zwei Seiten ein und derselben Medaille.«




Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!


[editiert: 25.01.08, 19:34 von bjk]
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