Sie sind nicht eingeloggt.
LoginLogin Kostenlos anmeldenKostenlos anmelden
BeiträgeBeiträge SucheSuche HilfeHilfe StatStatistik
VotesUmfragen FilesDateien CalendarKalender
Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten

PLATTFORM FÜR LINKE GEGENÖFFENTLICHKEITEN

Beiträge können nicht (mehr) eingestellt oder kommentiert werden!

 

Anfang   zurück   weiter   Ende
Autor Beitrag
bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 09.06.05, 15:33     Betreff:  Re: 1€Job: Der Fall der Woche




in diesen Zusammenhang und diesen Thread paßt auch ganz hervorragend ein Kommentar vom 3. Juni von Hans-Dieter Hey aus


Das Kapo-Prinzip



Der Kapitalismus treibt den menschlichen Wettbewerb auf die Spitze. Es ist ein Wettbewerb der Barbarei, in dem immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Es ist der entfesselte Kampf jeder gegen jeden, Beschäftigte gegen Erwerbslose, Jüngere gegen Ältere, Gesunde gegen Kranke. Es gilt der Profit – der Mensch nichts mehr. In den Betrieben werden mehr und mehr Menschen deshalb krank. Erwerbslose sind es oft ohnehin. Die Noch-Beschäftigten kotzt die Armut der Ausgegrenzten an. Und diese machen dem Rest schweigend vor Angst und Scham deutlich, dass alles nur noch schlimmer kommen kann. Und das hat Methode.

Auf Geheiß der Wirtschaft werden die Systeme der gesellschaftlichen Spaltung von Agenda 2010 und Hartz IV per Gesetz zementiert. Politik ist zur ausführenden Gewalt der Wirtschaft verkommen. Der erstarkte autoritäre Obrigkeitsstaat vollzieht einen Wechsel vom Wohlfahrtsstaat zum Zwangsarbeitsstaat (workfare-state). Zur Durchsetzung seiner Ziele existiert ein Netzwerk von Abhängigkeiten, von Nutznießern, Willfährigen und Hilfstruppen. Und damit alles so bleibt, gibt es das Kapo-Prinzip. Ursprünglich aus dem Italienischen kommend bedeutet es schlicht "Chef". Bekannt wurde es aber durch die Konzentrationslager des nationalsozialistischen Terrors. Ein Kapo war ein mit Vergünstigungen ausgestatteter Häftling in einem Konzentrationslager, der zum Vorgesetzten mit vollständiger Sanktionsmacht erklärt wurde. In einem perfiden Machwerk von Delegation, Verantwortungsübertragung, Sanktionen und Wohltaten hatten die Kapos die Arbeit der Häftlinge "anzuleiten" und waren für die zweifelhaften Ergebnisse verantwortlich.

Damit das Kapo-Prinzip funktioniert, bedarf es eines Sündenbocks. In unserem Fall heute sind es die Erwerbslosen. Den Ball brachte Gerhard Schröder ins rollen, als er der Bild-Zeitung mitteilte: "Keiner hat das Recht auf Faulheit". Sofort haben die Medien in vorauseilendem Gehorsam den Florida-Rolf entdeckt und dem Mob zum Fraß vorgeworfen. Doch er macht sich gar nicht mit Sozialhilfe in Florida das Leben schön, sondern entpuppte sich als krankes Häuflein Elend. Ein Fernsehsender lässt sich gar eine Sendereihe einfallen mit dem Titel "Sozialfahnder unterwegs", in der noch der letzte Sozialhilfeempfänger medial ausgeräuchert wird, indem die Meute von Dummheit und Ignoranz auf die Opfer der Apartheid gehetzt wird. So werden Opfer zu Tätern erklärt. Das Ablenkungsmanöver funktioniert. Um Erwerbslose weiter zu stigmatisieren konnte sich die Politik vor kurzem gar die Einführung elektronischer Fußfesseln vorstellen.

In einer Situation aus Unsicherheit, Angst und Verdächtigung entfalten die Arbeitsmarktreformen ihre Wirkung. Wesenskern ist das "Fordern und Fördern". Erwerbslosen werden mögliche Arbeitsplätze versprochen und dass sie gefördert werden. Und deshalb könne man auch etwas von ihnen verlangen. Doch die früheren Fördermaßnahmen sind fast völlig weggefallen, weil kein Geld mehr da ist. Richtige Arbeit gibt es ohnehin nicht. Daher ist es erklärter Wille der Politik, statt dessen die Erwerbslosen in Maßnahmen zu einem Euro Aufwandsentschädigung die Stunde zu zwingen. Nach Gerhard Schröder schafft Politik keine Arbeitsplätze. Nur die Arbeitslosenzahlen will man senken, die Ziele werden nach unten weitergegeben.

Zum Kapo-System in nächster Instanz gehören die Beschäftigten der Arbeitsagenturen, die diesen politischen Willen durchzusetzen haben. Als Staatsdiener haben sie eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat. Ihnen wird mit Hartz IV ein großzügiger Handlungs- und Verantwortungsrahmen überantwortet. All das fordert - mit zahlreichen Sanktionen versehen - von den Beschäftigten eine ganz besondere Gehorsamsbereitschaft. Die Erwerbslosen werden dabei in einem für sie nicht entwirrbaren Paragraphendschungel mit "Strafanlässen" konfrontiert, die amtlichem Handeln Tür und Tor öffnen. Das Menschenrecht auf existenzielle Grundversorgung wurde gesetzlich abgeschafft, weil die Fallmanager der Arbeitsagenturen nun persönlich nach Aktenlage entscheiden. So wird die Sanktionsvollmacht des Verwalters zum "Integrationsinstrument" erklärt.

In Großbritannien wehren sich Erwerbslose und Job-Manager häufig solidarisch. Fällt ein Job-Manager dort unangenehm auf, findet er sein Konterfei mit Bericht prompt in der Tagespresse. Mit den braven Deutschen und dem deutschen Beamtentum ist das völlig ausgeschlossen. Der Druck der Politik wird in den nächsten Monaten vor der Wahl massiv erhöht werden, Fallmanager werden ihre ganze Kraft darauf verwenden, Erwerbslose entweder in 1-Euro- Jobs zu zwingen oder aus dem Arbeitslosengeldbezug hinaus zu fegen. Dies wird als zielzahlenorientiertes Verwaltungshandeln bezeichnet. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Amtes verrät, was er eigentlich nicht sagen darf: Bedürftigen gegenüber werden Ansprüche geleugnet oder Anträge nicht angenommen. Es werden keine Bescheide erstellt oder Teilbescheide bzw. vorläufige Bescheide erteilt. Oder es finden Verweise auf nicht vorhandene Paragraphen statt, um Ansprüche streitig zu machen. Die Möglichkeiten amtlicher Willkür, um die geforderten Zielzahlen zu erreichen, sind außerordentlich groß. Hinzu kommen intime Aushörpraktiken, die inzwischen von der Bundesagentur nicht einmal geleugnet werden. Die Frage nach Gesundheit und Krankenhausaufenthalten, nach dem vollständigem sozialen Geflecht, Vereinstätigkeit usw. eröffnen den Fallmanagern weitere Hinweise, Menschen aus der staatlichen Fürsorge zu entfernen.

So wird z.B. in Köln versucht, einem 56jährigem arbeitsfähigen Erwerbslosen durch geschickte Befragung einzureden er sei krank. Mit "Sozialgeld" erscheint er dann nicht mehr in den Arbeitslosenzahlen. Ein anderer Erwerbsloser erhält während einer Fortbildung über Monate nur die Fahrtkosten aber kein Unterhaltsgeld, beim einem weiteren ist es genau umgekehrt. In einem anderen Fall legt eine Erwerbslose gegen den Bescheid Widerspruch ein. Doch dieser wird erst gar nicht bearbeitet, sondern kommentarlos an den Absender zurück geschickt. In einem weiteren Fall erhält ein Betroffener hintereinander sich widersprechende Bescheide. Inzwischen alles keine Einzelfälle mehr. Es herrscht das organisierte Unrecht im Rechtsstaat. Ein von amtswegen tätiger Sozialfahnder "überrascht" eine junge Frau, deren Freund sie drei Tage besucht, und erhält vom Amt einen Bußgeldbescheid über 50 Euro. Eine allein stehende Frau hat von ihrem Arbeitslosengeld II noch 60 Euro übrig, und die Arbeitsagentur zieht ihr dies bei der nächsten Überweisung wieder ab. Dass die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen anhand ihrer Zielzahlen leistungsabhängig bezahlt werden, ist für das Funktionieren des Kapo-Prinzips genauso notwendig und zwingt, den Druck nach unten weiter zu geben.

Eine weitere Instanz des Kapo-System sind die Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Organisationen des Zweiten Arbeitsmarktes. So ist beispielsweise in Köln ein ganzer "Verbund Kölner Träger zur Integrations- und Beschäftigungsförderung" entstanden, zu dem das Diakonische Werk, der Evangelische Stadtkirchenverband und ein Dschungel von 250 bis 500 Einsatzstellen gehören. Der Verbund wird gesteuert durch eine "Zentrale Geschäftsstelle und Dokumentation", über die die Erwerbslosen verteilt werden und die Arbeitsagentur ihre Zielzahlen durchzusetzen versucht. Sie überwacht diese und kann Sanktionen ausüben. Beispielsweise existiert eine Gesellschaft mit dem Namen "Zug um Zug", die nach Auskunft eines Insiders mit angeblich geschönten Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt andere Träger unter Druck gesetzt hat, so dass diese keine öffentliche Förderung mehr erhalten haben. Oder es kann die Genehmigung ganz entzogen werden. So setzt man sich gegenseitig unter Druck.

Die letzte Instanz des Kapo-Systems sind die Einsatzstellen. Dort erfreuen sich vor allem Wohlfahrtsverbände wie die AWO und kirchliche Träger – Gott sei's gepriesen – der billigen Arbeitskräfte. Die AWO bietet beispielsweise Arbeitsgelegenheiten im sozialpflegerischen und pädagogischen Bereich an, die Caritas in der Bildung oder Hauswirtschaft, in Kindertagesstätten, Handwerk oder Landschaftspflege und vielen anderen. Sie nennt ihre Firma Allerhand gGmbH (gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Und es ist wirklich allerhand, dass vorher die regulären Arbeitsplätze vernichtet wurden, um an die modernen Sklaven für einen Euro Aufwandsentschädigung heranzukommen. Die evangelische Kirche bietet Küsterhilfen, Nachhilfe oder Unterstützung in weiteren sozialen Bereichen an. In anderen Beschäftigungsgesellschaften werden manchmal zerbrochene Spiegel wieder zusammen geklebt, das private Fahrrad repariert oder andere sinnlose Tätigkeiten ausgeführt. Solch sinnlose Arbeit zerstört die Zielstrukturen der Menschen, ihre Persönlichkeit und ihr Vertrauen in die Zukunft. Schließlich wird allen Qualifizierung vorgegaukelt, eine Qualifizierung für die Dienstbotengesellschaft des 18. Jahrhunderts. In Neudeutsch heißt es Dienstleistungsgesellschaft, wenn jeder Oberwasserträger seinen Wasserträger bekommt, jeder Pfarrer seine Dienstmagd.

Verantwortlich für die Qualifizierung sind Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen, die allesamt arbeitslos wären, gäbe es das Kapo-System nicht. Auf der Strecke bleiben die Erwerbslosen, die diesem ausgeliefert sind. Wo staatlich verordnete Not und Zwang Mittel zur Arbeit und wo Überwachung und Sanktion probate Mittel indirekter Gewalt werden. Ausgestattet mit der "Kundennummer" der Arbeitsagentur wird individuelle Persönlichkeit umgedeutet in den anonymen Massenmenschen. Die Nummer als modernes schwarzes Dreieck. Der frühere Leiter des Kölner Arbeitslosenzentrums, Prof. Dr. Thomas Münch, warf Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement in einer Fernsehsendung vor, mit Hartz IV Menschenversuche zu machen. Das ist das Kapo-Prinzip.





dem ist nichts hinzuzufügen ... ... ...

bjk







[editiert: 09.06.05, 15:35 von bjk]
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Sortierung ändern:  
Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite 2.356 von 3.492
Gehe zu:   
Search

powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos

Layout © subBlue design
. . . zum Politikmagazin auf diesen Button klicken >> bjk's Politikmagazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .