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bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 20.09.05, 14:01     Betreff: Re: Der Wahlkrampf ist vorbei - jetzt nur noch Krampf?




berichtet:


jW-Autorenkollektiv

Pfeifen oder krächzen

Man muß die Wahlpartys feiern, wie sie fallen: Ein kleiner Streifzug durch Berlin am Sonntag abend


Vollidioten!


In Neukölln ging’s um alles. Eberhard Diepgen, der Bankenskandal-Bürgermeister, kandidierte ein letztes Mal für ein politisches Amt. Für Ebi only the Erststimme. Aus sportlichen Gründen war er auf der Landesliste nicht vertreten. In einem Einkaufscenter hatte die CDU Tischchen für die Wahlparty aufgestellt. Zwei große Monitore zeigten die Wahlberichterstattung. Diepgen marschierte ein, frenetischer Applaus.

18 Uhr, die erste Hochrechnung: CDU 37 Prozent. Betretenes Schweigen. In die Stille ruft einer »Scheiße!« In der Eckkneipe gegenüber großer Jubel und Geschrei, hier läuft Hertha gegen Schalke.

Dann die CDU nur noch bei 36 Prozent. Diepgen, ganz Staatsmann, merkt: Er muß zum Volk reden. Schnappt sich das Mikrofon, spricht von Überhangmandaten und Zweitstimmen. Es ist noch alles offen.

Die CDU sackt weiter ab, die großen Parteien nähern sich dem Gleichstand. Bei Hertha gegenüber auch immer noch Unentschieden. Im Verlauf des Abends versteinern die Mienen zusehends, Männer starren verbittert ins Bier. Hertha und Schalke trennen sich torlos. Das Einkaufszentrum leert sich. In der Eckkneipe werden die Stühle hochgestellt.

Um 21 Uhr scharen sich die letzten Verbliebenen um Diepgen. »Vollidioten!« schreien drei Männer in Jogginghosen. »Ihr habt lange jenuch rejiert!« Die Kreisvorsitzende verliest die letzte Hochrechnung für Neukölln. Erststimme CDU nur 36 Prozent. Düstere Gesichter, man umarmt sich tapfer. Diepgens politische Abschlußrede findet zwischen leeren Geschäften und abgeschalteten Rolltreppen statt. »Mit Enttäuschung muß man fertigwerden.«

Jochen Hung


Ein Mantra

Kurz nach 19 Uhr ist es endlich so weit: Der immer abgekämpfte Außenminister tritt unter tosendem Beifall im Hangar 2 des Flughafens Tempelhof auf die Bühne. Etwa 2500 Grünen-Anhänger haben sich versammelt, um Fischer mal wieder und ausnahmsweise auch mal sich selbst euphorisch zu feiern. Alle sind sehr ordentlich angezogen, Ökos gibt es in dieser Partei nicht mehr. Jugendliche Fahnenschwenker in Partei-Shirts kreischen zum Nachmachen das große Joschka-Joschka-Joschka-Mantra. Bei den ersten Hochrechnungen fühlt man sich wie beim Popkonzert in der ersten Reihe. Zu sehen ist aber nur Fernsehen von der Riesenleinwand. Alle sind glücklich, daß die CDU so schlecht ist. Die wird hier nämlich gehaßt. Und zur Belohnung sitzt der Außenminister bald mit denen in der Regierung.

Doreen Hoffmann


Wenigstens nervös

Viele der Trauergäste haben sich lässig einen Pulli über die Schulter geworfen. Sie trinken Bier, essen Currywurst. Heizstrahler sorgen für kuschelige Wärme. Rund 300 Getreue sind zur Wahlparty für die einfachen Leute hinter das Willy-Brandt-Haus gekommen. Manche lachen, andere gucken verträumt in den Himmel. Sieben Jahre Regierung, es war keine schlechte Zeit. Nun aber gilt es, Abschied zu nehmen: Tschüs Macht!

Gerhard Schröder schaut von einem riesigen Plakat am Straßenrand herüber. Kraftvoll. Mutig. Menschlich. Auf einer Großleinwand zeigt das ZDF um kurz vor halb sechs ein kleines Porträt von Angela Merkel. Ein Raunen geht durch die Runde. Wie beim Elfmeterpfiff im Fußballstadion.

Nur hoffnungslose Optimisten sind noch frohen Mutes. Oder wenigstens nervös. So wie eine blonde Endzwanzigerin im knallroten Pulli. In der einen Hand eine Zigarette, die andere fummelt an der Tischdekoration herum.

Ein Gongschlag. Die erste ZDF-Prognose. Schock durch die FDP, aber verhaltener Jubel über die Verhinderung von Schwarz-Gelb. Keiner weiß so recht, was jetzt werden soll. »Die Ampel. Und die FDP halten wir schön klein«, sagt die Frau im roten Pulli. Ihre Tischnachbarn schütteln den Kopf: »Macht der Westerwelle nicht mit.«

Eineinhalb Stunden später betritt Gerhard Schröder nur einen Steinwurf entfernt das Podium und reklamiert den Regierungsauftrag für sich. Die SPD-Anhänger sind außer sich. Aus der Beerdigung ist eine Wiederauferstehungsfeier geworden.

Lars Jeschonnek


Die APPD muß ran!

Privatparty in Berlin-Wedding. Soldiner Kiez-Ghetto. Einer, der nur ein Auge hat, schaltet zwischen einem großen und einem kleinen Fernseher hin und her. Probleme mit der Digibox. Einer, dem vorne ein Zahn fehlt, schlägt auf den großen Apparat. Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen die Kanzlermehrheit. Einer im Anzug verkündet, doch nicht SPD gewählt zu haben. Er sagt, »Hartz IV« hätte ihn gerettet. Beim Rasieren aber konnte er sich nicht vorstellen, daß dies ein SPD-Gesicht sein soll. Also Linkspartei, verdammt. Zur Zerstreuung ruft er immer wieder: »Die APPD muß ran!«

Die eine Hälfte der Leute hat Linkspartei gewählt, die andere grün. Achtes Weltwunder: Daß Leute sehr links und überhaupt vernünftig reden, nett sind, gut aussehen und dann – rechts wählen. »Beide Stimmen Grün, wie immer«. Tja. Einer hat Schröder gewählt. Aus »ästhetischen Gründen«. Als der Kanzler im TV so stählern spricht, bereut der Mann im Anzug. In der Nacht tanzen dann erwachsene Menschen zu »Call him Mr. Vain«, als wären sie schon wieder 14.

Christof Meueler


Im Zelt

Berlin, Palast der Republik. Vor der historischen Ruine des Volkshauses hatte die Linkspartei.PDS ihr Zelt aufgeschlagen. In der Hauptstadt mittigster Mitte, auf dem früheren Marx-Engels- und jetzigen Schloßplatz, drängten sich Hunderte Anhänger der Linken, um den sicher erwarteten Einzug der PDS und ihrer Listenpartner von der WASG in den Bundestag zu feiern. Denn irgendwie war alles klar. Eigentlich ging es nur um die Frage, wie deutlich das Ergebnis über der ominösen Fünfprozentmarke liegen würde. Manche hatten wohl mit einem zweistelligen Ergebnis geliebäugelt.

Als 18 Uhr die Prognose verkündet wurde war der Beifall groß. Mieses Ergebnis für die SPD, noch mieser das der Union, riesiger Beifall bei den avisierten 7,5 Prozent für die erweiterte PDS. Nur bei der FDP-Prognose gab es Gegrummel im Publikum. Nach den ersten Hochrechnungen dann das Highlight des Abends: Gregor & Oskar on Stage. Die Meute aus Fotografen und Kameraleuten spielt verrückt und walzt zufällig herumstehendes Publikum aus dem Weg. Gysi krächzt schon ein wenig, als er sich über das Ergebnis freut. Rot-Grün weg, Schwarz-Gelb verhindert! Das sei auschließlich Verdienst der Linkspartei. Recht hat er. Und das denken wohl auch die Massen im Zelt. Apropos Publikum: Die Hälfte sieht aus wie alte PDS-Klientel. Die andere Hälfte muß wohl der »Neuen Mitte« Schröders entlaufen sein. Neue Zeiten scheinen angebrochen.

Dieter Schubert


»Geht auf uns«

»50 Prozent des Ergebnisses der Linkspartei geht auf uns – die WASG ist eindeutig der dynamischere Teil des Linksbündnisses.« So wie Murat Cakir, Bundessprecher der WASG, redeten viele auf der Party der Berliner Wahlalternative. Rund 200 Wahlkämpfer und Sympathisanten waren auf dem Jugendsportfreizeitschiff in Kreuzberg zusammengekommen, um ihren Erfolg zu begießen. Die Linkspartei.PDS, auf deren Liste ein knappes Dutzend WASGler den Einzug in den Bundestag geschafft hat, feierte woanders.

»Alle haben Probleme heute abend – nur wir nicht«, kommentierte Ralf Krämer, der auf dem aussichtslosen Listenplatz sechs für die Berliner Linkspartei kandidiert hatte, das Wahlergebnis. Wegen der Linkspartei hätten Union und FDP keine Mehrheit. Der Einzug in den Bundestag sei »der Erfolg der gesamten Linken«. Mit großem Selbstbewußtsein könne die WASG in die nun anstehenden Verhandlungen mit der Linkspartei eintreten, glaubt Krämer.

Daß in punkto Zusammengehen von Linkspartei und WASG – besonders in Berlin – noch tiefe Gräben zu überwinden sind, wurde auch an Abend deutlich. Der im WASG-Wahlkampffilm auftauchende Berliner PDS-Chef Stefan Liebich wurde mit Pfiffen bedacht. Und auch sonst war auf die Senatspartei kaum jemand gut zu sprechen. Die anwesenden WASG-Bundesvorständler sahen sich genötigt, sich gegen die »Turbovereinigung« und für eine »Bewegungspartei« auszusprechen.

Herbert Wulff



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[editiert: 20.09.05, 14:02 von bjk]
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