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Die verlassenen Kinder von Brasov/Rumänien

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Autor Beitrag
Anja.

Ort: Mainz

New PostErstellt: 05.12.03, 15:25  Betreff: Die verlassenen Kinder von Brasov/Rumänien  drucken  weiterempfehlen

Aus dem Newsletter von HILFT:


"Die verlassenen Kinder von Brasov"

Die verlassenen Kinder von Brasov Das Geschäft blüht - und gedeiht vor allem dort, wo das Leben erbärmlich, die Not sehr groß ist. Kindermarkt Osteuropa. Bis zu 30.000 Dollar blättern Ehepaare aus den reichen Industrienationen auf den Tisch, um im Ausland ein Kind adoptieren zu können. Hier elternlose Kinder, dort kinderlose Paare: Das ist der Stoff, aus dem die Luxusgesellschaft ihren modernen Menschenhandel webt. Es scheint so furchtbar ungerecht: In armen Ländern mangelt es an vielem, nur nicht an Kinderreichtum. Und dort, wo der Luxus regiert, fehlt es an Kindern. Jahr für Jahr trauen sich in Deutschland etwa 450.000 Paare vors Standesamt nicht selten folgt dem Bekenntnis zur Ehe jedoch die Erkenntnis, unfruchtbar zu sein. Knapp 15 Prozent aller Ehen bleiben ungewollt kinderlos.

Mittlerweile haben mehr als 20.000 Ehepaare in Deutschland die behördlich verfügte Schnüffelei in ihrer Privatsphäre über sich ergehen lassen, haben die Eignungsprüfung zum Elternsein bestanden. Nur allzu gern würden sie ein Kind adoptieren, bekommen von den Adoptionsvermittlungs-Stellen jedoch keine spontane Hilfe, sondern müssen sich mit der Bitte um Geduld abfinden. Denn die Nachfrage übersteigt das Angebot. Zwar werden pro Jahr etwa 7000 deutsche Kinder adoptiert, ,,aber nur knapp 3000 davon sind freie Adoptionen, sagt Gerhard Klaißle von der zentralen Vermittlungsstelle Württemberg-Hohenzollern. Anders ausgedrückt: Sechs von zehn Waisenkinder werden nicht von Fremden adoptiert, sondern finden Unterschlupf bei Verwandten. Noch ist das soziale Netz in Deutschland eng genug geknüpft, um die Allerkleinsten aufzufangen. Kinderwunsch, Herzenswunsch. Und die Realität ist voller Barrieren: Da vom Antrag bis zur ,,Verbringung in eine Adoptionsfamilie (Klaißle) durchschnittlich sieben Jahre ins Land ziehen, stehen viele kinderlose Paare unter Zeitdruck. In einer der zahlreichen Adoptionsregeln wird empfohlen, dass ,,zum Wohle des Kindes" die Eltern nicht älter als 35 Jahre alt sein sollten. So kommt es zu einem Umstand, den Adoptionsexperte Klaißle nach 25 Berufsjahren so beschreibt: ,,Wenn der Leidensdruck steigt, driften die Paare in den grauen Markt ab. Und da wird viel Schindluder getrieben." Der graue Markt hat seine Zelte in den Armutsvierteln der Dritten Welt abgebaut und nun dort aufgeschlagen, wo der Eiserne Vorhang gefallen ist: Balkan, Russland, Baltikum. Asiatische und vor allem schwarz-afrikanische Kinder sind im Adoptionsgeschäft nicht mehr angesagt. Klaißle nennt einen Grund: "Die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland." Ein anderer bleibt unausgesprochen: Viele Adoptiveltern legen Wert darauf, dass ihre Zöglinge nicht sofort als angenommene Kinder erkannt werden. Helle Haut ist nun der Renner auf dem grauen Markt.

Glaubt man Marika und Stefan Barth, dann geht es dort zu wie in internationalen Auktionshäusern. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten - wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag. Schauplatz Rumänien, Einsatzgebiet von Marika und Stefan Barth. Seit 1995 betreibt das Ehepaar aus Stuttgart in der 200.000 Einwohner-Stadt Brasov ein Heim für verlassene Kinder. Brasov, ehemals Kionstadt genannt, liegt drei Autostunden von Bukarest entfernt. Nachts kommen dort die Schwarzbären aus den Wäldern, stöbern in den Mülltonnen nach Essbarem. Und klauben sich das heraus; was eine Heerschar zerlumpter Straßenkinder übrig gelassen hat. Brasov, Herz der Karpaten. Hier, in einem mit Spenden aus Deutschland umgebauten Wohnhaus, kümmert sich das Ehepaar Barth mit seinem Team um die meist völlig ausgezehrten und psychisch angeknacksten Zöglinge. Die Säuglinge sind in einem Zimmer untergebracht, über dessen Eingang die Aufschrift ,,Licurici" zu lesen ist. Zu Deutsch ,,Glühwürmchen". Irgendwie passt das zur Situation. Die malträtierten Würmchen bekommen Wärme, Zuneigung, regelmäßiges Essen. So lange, bis sie aufgepäppelt sind. Bereit für den Wechsel in eine neue Heimat, die ihre alte ist. Denn im Gegensatz zu den staatlichen Waisenhäusern des erbärmlich armen Landes wartet auf die bis zu dreijährigen Kinder von der Horiastraße kein Leben in Frankreich, USA, Italien oder Deutschland, sondern in Rumänien in rumänischen Familien.

Was einst als humanitäre Idee begann, entpuppte sich schnell als Einmischung in innere Angelegenheiten. Kommen da doch glatt zwei Deutsche daher und wollen mit ihrer Kohle keine Kinder herauskaufen, sondern im Land lassen. Suspekt so etwas. Außerdem geschäftsschädigend. Denn häufig halten korrupte Heimleiter, Krankenhaus-Angestellte und auch Ministeriums-Mitarbeiter für die Bewilligung einer Auslandsadoption die Hand auf. So kommt es, dass unter 5000 Dollar kaum ein gesundes rumänisches Waisenkind ins kapitalistische Ausland transferiert wird. Vor allem Franzosen und Amerikaner stehen im Ruf, beim Ankauf ihrer Wunschkinder sehr spendabel zu sein. Offiziell ist derartiges Tun natürlich verboten. "Die Behörden wollen nicht als Kinderhändler dastehen", weiß Adoptionsexperte Klaißle. Aber es gebe das "faktische Problem der Versuchung". Der Fakt heißt Armut, die Versuchung Korruption. Durchschnittslohn eines Angestellten: monatlich bis zu 100 Dollar. Preis pro Adoption: Je nach Alter der Kinder 5000 bis 30.000 Dollar." Geht man von mehreren tausend Auslandsadoptionen pro Jahr aus, kann man sich ausrechnen, welche Summen im Spiel sind", sagt Stefan Barth. Der 35-jährige Betriebswirt weiß, wie sein Engagement ankommt: ,,Die Barths spucken in die Suppe, versauen das Geschäft." Denn die Barths verlangen pro Inlandsadoption nur die angefallenen Gebühren: "Zwischen zehn und 20 Euro". Längst ist die These widerlegt, es gebe für rumänische Waisenkinder nicht ausreichend Adoptiveltern. 50 Kinder wurden bisher an rumänische Familien vermittelt. Es gibt auch schon eine Warteliste. Und das, obwohl die deutschen Einmischer bei der Obrigkeit nicht wohlgelitten sind. Bei ihrem Haus dürfte es sich um das bestgeputzte Gebäude der Stadt handeln. Die Gesundheitsbehörde kommt unentwegt zur auffällig peniblen Inspektion.

Und wenn die Barths Behördengänge in Bukarest machen, achten sie immer darauf, im Hotel keines der zugewiesenen Eckzimmer bewohnen zu müssen. Der Tipp kam von der Botschaft: In zugewiesenen Eckzimmern gibt's allerhand Wanzen, die keine Tiere sind, und Spiegel, die man nicht sieht. Warum sie sich das antun? "Weil man um das Glück eines jeden Kindes kämpfen muss", sagt die 32-jährige Marika Barth. Sie hat auch um George und Madalina gekämpft, zwei Geschwister, deren Mutter weder ein noch aus - und schon gar nicht wusste, wie sie ihre sechs Kinder vor der Verwahrlosung retten sollte. George und Madalina hatten Glück, haben keine Würmer, keinen Hunger mehr, leben in einer Adoptivfamilie in Bukarest. Aaron hatte kein Glück. Auch ihn hätten die Barths gern aus diesem Gitterbett in der Kinderklinik herausgeholt. Seine Mutter ist gleich nach der Geburt auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Noch bevor die Geburtsurkunde ausgestellt war. Denn Aaron hatte einen Defekt: Herzfehler. Dreieinhalb Jahre lang lag er herum wie ein Wickelkind. Verlassen, vernachlässigt, vergessen. Es war kein Geld da für eine Operation, auch keine Chance auf Adoption. Denn sterbenskranke Kinder haben keinen Markt. Auch keinen grauen. Aaron starb am 7. November 1997 in seinem Gitterbett. Und als die Barths ihn ein letztes Mal sehen wollten, war das erneut eine Einmischung in innere Angelegen-heiten. Man hatte Aaron längst mit dem Krankenhausmüll entsorgt. Begründung: keine Geburtsurkunde, keine Sterbeurkunde. Ohne Sterbeurkunde keine Beerdigung. Warum sie das machen? Marika Barth zögert keine Sekunde - sagt: "Weil man Kinder wie Kinder behandeln soll und nicht wie eine Ware."

Danke Marika, du sprichst mir aus der Seele!
Kurt Assmuss


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