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urteilten Verfassungsrichter Berlin höhnisch ab statt Recht zu sprechen?

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.06, 14:59  Betreff:  urteilten Verfassungsrichter Berlin höhnisch ab statt Recht zu sprechen?  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://www.freitag.de/2006/43/06430102.php



Michael Jäger

Vom Winde verweht


BERLIN-URTEIL*
Das Verfassungsgericht verurteilt nicht nur Berlin, sondern die Rechtslage



Auf die Klage Berlins, der Bund müsse das Land seiner extremen Haushaltsnot wegen sanieren helfen, hat das Bundesverfassungsgericht rein ökonomistisch reagiert. Die Not sei gar nicht so groß, befanden die Richter. Hamburg habe sogar noch etwas weniger eingenommen als Berlin, Berlin gebe aber mehr aus als Hamburg. Es habe die eigenen Handlungsmöglichkeiten noch keineswegs erschöpft. Zum Beispiel könne es ja seine Wohnungen verkaufen. Das Gericht hat vor Jahren selbst erst dafür gesorgt, dass Klagen wie diese versucht werden konnten, indem es Artikel 107 des Grundgesetzes schöpferisch interpretierte. Jetzt aber ist die Zusammensetzung des Richterkollegiums verändert, und der Zeitgeist tut seine Wirkung. Eigentlich passten Sanierungshilfen des Bundes gar nicht in die Systematik des Grundgesetzes, korrigierte man die eigene frühere Entscheidungspraxis. Mit andern Worten, es ging gar nicht so sehr um die Plausibilität der Klage: Geprüft und verurteilt wurde die Rechtslage, nach der solche Klagen zur Zeit überhaupt noch möglich sind.

Viele Reaktionen zeigen, woher der Wind weht. Die Botschaft des Urteils sei, dass das System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs an seine Grenzen stoße, hört man allerorten. Endlich müsse nun die zweite Stufe der Föderalismusreform angepackt werden: Reiche Länder wollen nicht mehr so viel für arme zahlen, obwohl das Grundgesetz alle verpflichtet, für einen einheitlichen Lebensstandard in Deutschland zu sorgen. Der "kooperative Föderalismus" sei etwas für Gutwetterzeiten gewesen. Die Sanierung notleidender Länderhaushalte möchte man dem Insolvenzverfahren in der "freien Wirtschaft" angleichen. Und der Bund soll sich da am Besten ganz heraushalten. Es ist ja wahr: Wenn er Berlin beim Sanieren hilft, belastet er womöglich seinerseits hinterher die reichen Länder. Die wollen das nicht und schlagen deshalb jetzt vor, jedes Land solle sich selbst finanzieren können, müsse also die volle Steuerhoheit erhalten.

Der Bund mag sich als Sieger des Gerichtsstreits fühlen, weil er Berlin nicht zu unterstützen braucht. Langfristig ist er jedoch der größte Verlierer. Schon in der ersten Stufe der Föderalismusreform ließ er eine beispiellose Schwächung des Gesamtstaats zu: Die Länder dürfen künftig fast jedes Bundesgesetz nach Gusto verändern. Wenn sie in der zweiten Stufe auch noch die Steuerhoheit erhalten, könnte der Bundesstaat eigentlich nach jugoslawischem Vorbild aufgelöst werden.

Die Alternative zum neoliberalen Ökonomismus der Richter wäre die Würdigung der jüngsten Geschichte Berlins, das heißt, der Geschichte der deutschen Vereinigung gewesen. Dann hätten sie nicht Berlin und Hamburg verglichen, sondern den einmaligen Weg gewürdigt, den die Stadt gehen musste: Zwei Großstädte mit Verwaltungsdoppelstrukturen wurden zusammengelegt; beiden wurden über Nacht hohe Subventionen gestrichen, die sie wegen ihrer Rolle im Kalten Krieg erhalten hatten; unter so schwierigen Geburtsumständen sollte das neue Berlin aber Hauptstadt sein. Bonn, das diese Funktion aufgeben musste, wurde bemitleidet und erhielt Kompensation. Über Berlin aber ergießt sich Häme. Man kann es nicht anders nennen, wenn das Berlin-Urteil jetzt mit den Worten gelobt wird, da könne ja jeder kommen und sich beliebig verschulden in der Hoffnung, dass der Bund dann aushelfe. Hat Berlin sich beliebig verschuldet - seit es nicht mehr vom CDU-Mann Diepgen regiert wird? Es ist dem Wirken des rot-roten Senats zu danken, dass seit 1995 die Primärausgaben der Stadt (ohne Schuldendienst) pro Einwohner um 11,7 Prozent gesunken sind, während sie sich im Durchschnitt der anderen Länder um 3,9 Prozent erhöht haben.

Heute geht es überhaupt nur noch um die Frage, was mit den Berliner Altschulden geschehen soll. Nur um die Zinsen zahlen zu können, muss sich Berlin noch weiter verschulden. Und alle wissen, dass der dadurch steigende Schuldenberg durch noch so tiefe "Einschnitte" in Berlins Haushalt nicht getilgt werden könnte. Die rot-rote Koalition reagiert deshalb ganz richtig: Sie nimmt neue Schulden auf, denn sie zahlt weiter Zinsen. Irgendwann muss sich der Bund seiner Verantwortung stellen.




Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier

[editiert: 08.08.11, 13:28 von bjk]
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.06, 15:05  Betreff: Re: urteilten Verfassungsrichter Berlin höhnisch ab statt Recht zu sprechen?  drucken  weiterempfehlen




kopiert aus:



Thomas Flierl

Berliner Republik?


KOMMENTAR * Karlsruhe beerdigt den Solidarföderalismus


Das ist eine Zäsur in der bundesdeutschen Nachkriegsordnung - nach dem Karlsruher Richterspruch ist eine Haushaltsnotlage nicht länger dadurch gekennzeichnet, dass ein Land chancenlos in der Zinsfalle sitzt. Eine Haushaltsnotlage ist seit der Abweisung der Klage Berlins erst dann erreicht, wenn ein Land keine Kredite zur Bedienung der Zinsen mehr erhält, also alles öffentliche Vermögen verkauft hat und die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben nicht mehr tätigen kann. Mit dieser Neuinterpretation der Haushaltsnotlage wurde der Solidarföderalismus juristisch beerdigt und höchstrichterlich der Wettbewerbsföderalismus ausgerufen. Man darf die Entscheidung neoliberal nennen, ohne sich deshalb der Richterschelte verdächtig zu machen. Berlin, so die Richter, sei noch nicht arm und verschuldet genug, um von einer Notlage sprechen zu können. Berlin möge sich bitte selbst helfen.

Wie allerdings ein Gemeinwesen in der Lage sein soll, Schulden von über 60 Milliarden Euro abzubauen, wenn der Landesetat pro Jahr knapp 20 Milliarden beträgt und von den Einnahmen nur etwa die Hälfte aus eigener (Steuer-)Kraft generiert wird, haben die Richter zwar nicht im Detail gesagt, aber angedeutet. Berlin leiste sich "Luxus", den andere Bundesländer nicht haben. Dazu zählen auch "Überausstattungen" bei Kultur und Wissenschaft. Und so lange die bestehen, könne Berlin nicht erwarten, dass andere helfen. Der Richterspruch spiegelt eine weit verbreitete Stimmung wieder, der zufolge der Begriff Berliner Republik eigentlich auf den Index gehören müsste. Stoiber, Koch & Co. artikulieren ein Ressentiment der alten Bundesrepublik, die mit einer Hauptstadt im Osten nichts anzufangen weiß. Und im Osten selbst regt sich offenbar immer noch alter Berlin-Neid aus DDR-Tagen. Während der Beifall der Länderchefs aus dem wohlhabenderen Südwesten von einer zwar rabiaten, aber durchaus konsequenten Haltung im Verteilungskampf zeugt, ist der Applaus ostdeutscher Ministerpräsidenten mehr als kurzsichtig. Bedient doch Karlsruhe eine Art von föderalem Wettbewerb, der die grundgesetzlich garantierten gleichen Lebensverhältnisse nur noch auf Hartz IV-Niveau anerkannt wissen möchte. In einem solchen Wettbewerb wird vor allem dem gegeben, der schon hat.

Dieses unsolidarische Prinzip lässt sich sehr deutlich am Beispiel Hochschulpolitik veranschaulichen. Von den 130.000 Studierenden in Berlin kommt mehr als die Hälfte aus anderen Bundesländern. Damit finanzieren die Berliner Steuerzahler auch wohlhabenden Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg die Ausbildung ihrer Abiturienten, weil die traditionell weit unter eigenem Bedarf Studienplätze anbieten und diese zuletzt sogar massiv abgebaut haben. Was so an der Lehre auf Kosten anderer gespart wurde, floss in die Forschung und wird jetzt mit zusätzlichen Bundesmitteln in der Exzellenzinitiative belohnt. Damit nicht genug - inzwischen hat auch die Bundesregierung erkannt, dass wir nicht weniger, sondern mehr Hochschulabsolventen brauchen. Der von Frau Schavan initiierte Hochschulpakt verspricht mehr Bundesmittel für neue Studienplätze. Er belohnt damit jene reicheren Länder, die schon vor dem Stichjahr 2005 ihr Lehrangebot reduziert haben und es nun mit Bundeshilfe wieder aufbauen dürfen. Und er bestraft andere Länder wie Berlin, die seit 2005 wegen der Haushaltszwänge Studienplätze abbauen mussten oder wegen der demographischen Entwicklung nur schwer die jetzigen Kapazitäten halten können.

In der Logik von Karlsruhe sähe die "Lösung" so aus: Berlin baut seine "Überausstattung" ab und schließt eine Universität, die dann in Bayern oder Baden-Württemberg neu aufgebaut wird. So spart Berlin 300 Millionen Euro - und könnte damit gerade mal den Zinsanstieg eines Jahres kompensieren. Man muss kein Berliner sein, um die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens zu erkennen. Sinnvoller wäre ein auch von mir favorisiertes System der Hochschulfinanzierung, in dem das Geld des Landes, in dem das Abitur abgelegt wurde, den Studierenden folgt. Auch so hätten wir mehr Wettbewerb. Aber einen Wettbewerb der Hochschulen und Länder um Studierende - unter fairen Bedingungen.

Berlin gibt inzwischen nicht mehr aus als es einnimmt. Der Primärhaushalt (ohne Zins und Tilgung) ist ausgeglichen. Daran hat die Linkspartei mitgewirkt. Dazu steht sie, nicht aber zur Vernichtung der Zukunft Berlins. Bildung, Wissenschaft und Kultur sind die einzigen, wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Chancen der Stadt - zugleich strategische Felder der bundesdeutschen Zukunftsdebatten. Es lohnt sich für die Linke, hier Politik zu machen. Wenn die Bedingungen stimmen, auch weiter im Berliner Senat.

Thomas Flierl ist Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin.




Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 08.08.11, 13:28 von bjk]
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