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Pfarrfest - Völkerverständigung - Zeitprobleme

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Baba Yaga
New PostErstellt: 23.06.04, 14:09  Betreff: Pfarrfest - Völkerverständigung - Zeitprobleme  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Afrikanisches Pfarrfest in der Oberpfalz

Vergangenen Samstag war ich zu einem besonderen Pfarrfest in einer kleinen Oberpfälzer Gemeinde eingeladen!

Der kath. Pfarrer betreut seit 16 Jahren die katholischen Kirchenmitglieder. Er kommt aus Nigerien und er hatte öffentliches Festessen nach nigerianischem Brauch und mit landesspezifischen Rezepten und den typischen Zutaten geplant.

Beginn der Veranstaltung sollte 19 Uhr sein, mehr war nicht bekannt,
- aber in der Gemeinde kannte man seinen Pfarrer, will heißen, man rechnete mit einem unterhaltsamen Abend!

Als ich pünktlich um 19 Uhr das kath. Gemeindehaus gefunden hatte, war der Pfarrsaal schon "gerammelt" voll!

Alle schienen gekommen zu sein, - vom Bürgermeister, über Doktor und Kirchenratsvorsitzenden, bis zur Feuerwehr und dem Sportschützenverein!
Als ich den Saal betrat, kam mir "Charles" (so wird der Pfarrer liebevoll in der gesamten Gemeinde genannt) in einem reichbestickten, kornblumenblau glänzenden Gewand (Kaftan) mit kardinalroter Kappe auf dem Kopf entgegen.
Er freute sich, daß auch ich seiner Einladung gefolgt war und er verschaffte mir einen übersichtlichen Platz an einem Tisch, ganz vorne vor seinem Rednerpult und einer Bühne, auf welcher eine große Leinwand gespannt war.

Großer Lärm erfüllte den Saal, denn die Leute an den Tischen unterhielten sich lebhaft. Sie wurden kostenlos mit Getränken versorgt und Kinder jeden Alters rannten kreuz und quer zwischen Stuhl- und Tischreihen umher, ausserdem duftete es schon verheissungsvoll nach den erwarteten Speisen!

Ich beglückwünschte den Pfarrer zum Interesse seiner Pfarrei an seiner Veranstaltung und zum vollen Saal!
Etwas traurig meinte er dazu und auf "sein Volk" blickend:
"....bis 8 Uhr, werden die wohl nicht hierbleiben wollen"!

Dann, irgendwann später, ergriff der Priester das Mikro und begann einen kleinen Vortrag über Früchte, Gemüse, Gewürze und Getränke aus seiner Heimat, die er dabei einzeln vorzeigte!
Er erzählte von Ess- und Einlandungsritualen und von Lebensmittelinhalten und erwähnte sozioideelle oder spirituelle Hintergründe mancher Speisen!

Eine Frau mir gegenüber antwortete auf meine Bemerkung, daß es schon ziemlich köstlich rieche:

"Das kann noch lange dauern, bis wir zu essen bekommen, ich kenne unseren Pfarrer ziemlich genau.
Wir haben da schon unsere Probleme mit ihm!
Wenn am Sonntag die Kirche voll ist und die Messe beginnen sollte, dann ist er noch nicht angekleidet und alle warten und warten, bis er endlich kommt!"

Ich verstand, bzw. glaubte zu verstehen, was sie meinte!
Nicht in allen Staaten dieser Welt hat die Sekundärtugend Pünktlichkeit einen so hohen Stellenwert wie in Deutschland!

Dann verkündete uns "Charles", er werde uns nun Ausschnitte seiner neuen drei Video-Bänder vorführen!
Sie sollen zeigen, wie in Nigeria Hochzeiten, Beerdigungen und Priesterweihen gefeiert werden!
Er kommentierte die verschiedenen Szenen in den Bildern,
- unten am Bildrand der Filme war jeweils das Datum und die Uhrzeiteinstellung der Aufnahmen in Kirchen bei Messen, bei öffentlichen Zeremonien und einzelnen Veranstaltungen zu sehen -.

Erst schenkte ich den Daten und Zeitangaben wenig Beachtung, bis ich gewahr wurde,
...daß z.B. der Filmschnitt eines vorher, längst begonnen Gottesdienstes, um etwa 10 Uhr einsetzte,
...daß Chöre und Bewegungsgruppen folgten und die Anzeige bereits auf 14 Uhr gerückt war,
...daß Aufnahmen einer Prozession und einer Spendensammlung innerhalb des gleichen Gottesdienstes um etwas 15 Uhr zu sehen waren,
...daß der Auszug aus der Kirche und damit das Ende des Gottesdienstes auf dem Film mit ca. 16:15 Uhr angezeigt wurde.

Der Zeitvergleich der eingebledeten Daten auf den Viedeobändern war von da an besonders aufschlußreich für mich.
Ich konnte erkennen, daß die aufgenommenen Festivitäten, Beerdigung und Hochzeit sich nicht nur über Stunden hinzogen, sondern tagelang andauerten!

Charles meinte immer wieder, auf die vielen Beteiligten in den Filmen hinweisend:
"...alle sind gekommen, bei uns braucht man keine Einladung, alle kommen, alle!"

Er zeigte in den Filmen wiederholt auf kleine Teller und Platten mit den sogenannten "Kula-Nüssen", ohne welche kein Fest und keine Veranstaltung in Nigeria beginnen könne,
die jeder Gastgeber herumzureichen und jedem Gast anzubieten habe.

"Würde ein Gastgeber diese Nüsse seinem Besuch vorenthalten,
...wäre das ein sehr schlechtes Zeichen!!
...Sein Gast dürfte nicht sagen, weswegen er gekommen sei!"


Deshalb hatte "Charles" auch einen kleinen Teller in der linken Hand, - mit der rechten hielt er das Mikro -, auf welchem ca. 15 tischtennisballgroße Nüsslein lagen.
Er versprach, sie so zu zerteilen und zu verteilen, daß jeder der mehr als 100 Gäste ein Stückchen bekäme!

Die Nüsse und das wiederholte Versprechen, irgend wann ein Stückchen zu erhalten und damit auch rituell willkommen zu sein, begleiteten uns durch die vielen Filme.
Alle blieben da, hörten und sahen zu und warteten auf das Stückchen Kula-Nuß und das afrikanische Gericht.

Dann war es so weit:
Große Behälter mit Speisen wurden auf langen Tischen an der Rückwand des Saales aufgestellt und die Leute reihten sich sofort in ganz langen Schlangen auf, um "Essen zu fassen"!
Es hat wunderbar geschmeckt!
Alle wollten von allem kosten.
Alle waren voll des Lobes, ob der afrikanischen Köstlichkeiten!

Sehr schnell waren dann auch die Töpfe leer und "ratzeputz" ausgekratzt!

Anschließend kam noch Besuch! Es waren vier Landsleuten von Charles aus Nürnberg angereist, die in ihren farbenprächtigen Gewändern den Pfarrer und die Anwesenden gesten- und wortreich begrüßten, dabei Gebete und fromme Wünsche sprachen und verschiedene Umgangs- und Begegnungsrituale zelebrierten!

Bis es so weit war, daß die Kula-Nüsse "geschlachtet" wurden, war der Uhrzeiger bereits auf 23 Uhr vorangeschritten!

Alle bekamen ein winziges Stückchen - und ich denke, mehr hätte wohl auch ein deutscher Gaumen erst mal nicht zu schlucken vermocht!

Diese Nüsse werden im Mund zermahlen und entfalten einen säuerlichen, streng bitteren Geschmack! Man hat das Gefühl, der Mund trockne dabei vollständig aus, sodaß man nur schwer in der Lage ist, das Zerkaute zu schlucken.

"Diese Nüsse sind sehr gesund, haben hohe Heilkraft",
tröstete Charles seine Gemeinde!


Jetzt war mir klar, warum er mit der Verteilung bis nach der Mahlzeit gewartet hatte!
Hatte ich ihn doch im Verdacht, mit den Nüssen, welche er auf dem Tablett ständig vor sich herjonglierte, Spannung und Neugierde zu erzeugen, um dabei den Aufenthalt der Gäste zu verlängern!

Etwas noch später ergriff dann der Bürgermeister das Wort.
Er dankte seinem Gemeindepfarrer Charles für die völkerverbindende Veranstaltung recht herzlich und wünschte allen eine Gute Nacht und einen sicheren Heimweg!

Charles sah das Ende des Abends herannahen und meinte
- wie mir schien - etwas resigniert:

"Gott gab Euch die Uhren, uns gab er die Zeit"!

Jetzt war mir klar, mit "8 Uhr" meinte er bestimmt nicht 20 Uhr, wie ich das vorher zu verstehen glaubte!


Baba Yaga


[editiert: 23.06.04, 14:34 von Baba Yaga]
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 23.06.04, 15:46  Betreff: Re: Pfarrfest - Völkerverständigung - Zeitprobleme  drucken  weiterempfehlen

>> "Wenn am Sonntag die Kirche voll ist und die Messe beginnen sollte, dann ist er noch nicht angekleidet und alle warten und warten, bis er endlich kommt!" <<





Der Mann ist mir auf Anhieb sympathisch ... ... ...


[editiert: 23.06.04, 15:47 von bjk]
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